Eine funktionierende Darmflora ist die Quelle für innere Ausgeglichenheit und Wohlbefinden. Gerät die Darmflora jedoch aus dem gesunden Gleichgewicht, kann das den Menschen krank und müde machen. Der Aufbau und Erhalt einer gesunden Darmflora beginnt daher schon im Babyalter und sollte auch im späteren Leben ein wichtiges Ziel bleiben.
Worauf Eltern schon bei Kleinkindern achten sollten, um die Darmgesundheit ihres Kindes zu erhalten, darüber sprach Baby Guide mit Univ. Prof. Dr. med. Almuthe Hauer.
Welche große Bedeutung hat der Darm in seiner mittelbaren und unmittelbaren Auswirkung auf den Menschen?
Der Darm ist grundsätzlich für die Aufnahme von Nährstoffen, ihre Verwertung und die Ausscheidung zuständig. Dabei ist der Dünndarm gleichzeitig das größte „Immunorgan“ (= Teil unseres Abwehrsystems) des menschlichen Körpers. Ohne Dünndarm kann der Mensch nicht leben. Wenn man z.B. versuchen müsste, den erkrankten Dünndarm durch eine Transplantation zu ersetzen, so ist das bisher deshalb die komplizierteste Organtransplantation, weil man damit das dem Darm assoziierte Abwehrorgan ebenfalls ersetzen müsste. Der Dickdarm dient insbesondere zur Wiederaufnahme von Wasser, sodass ein konzentrierter Stuhl entsteht. Bei sehr schweren chronischen Entzündungen des Dickdarms wird dieser manchmal operativ entfernt – eine schwere Operation, dennoch wissen wir daher auch, dass man ohne Dickdarm leben kann.
Wie kann man schon im Kindesalter die Darmtätigkeit unterstützen und positiv beeinflussen?
Wichtig ist, dass wir im Dickdarm über eine ganz individuelle Darmflora verfügen, die sich aus vielen Bakterien zusammensetzt (mehr als 500 verschiedene Arten). Darüber hinaus übertrifft die Anzahl der Abermillionen Bakterienzellen in dieser körpereigenen Darmflora die Zellzahl unseres eigenen Organismus um das 10fache. Diese Darmflora „übernehmen“ wir großteils von unseren Müttern. Die beste Voraussetzung zur Entwicklung einer gesunden Darmflora ist eine spontane Entbindung. Währenddessen wird nämlich der Darm des Babys, der vorerst steril ist, mit Bakterien aus dem Darm- und Genitaltrakt der Mutter besiedelt. Es gibt durchaus Unterschiede zwischen der Darmflora eines spontan entbundenen Babys und der eines Kaiserschnittbabys. Die Darmflora eines Babys, welches durch Kaiserschnitt auf die Welt geholt wurde, kann mitunter Keime enthalten, die problematisch werden können.
Wird das Baby danach voll gestillt, wirkt sich das ebenfalls positiv auf die Bildung einer gesunden Darmflora aus. Die Muttermilch enthält nämlich Komponenten, die für die Entwicklung sogenannter „wohltuender“ Bakterien (z.B. Milchsäurebakterien) von Bedeutung sind. Gefertigte Babynahrung (z.B. probiotisch) kann naturgemäß nicht das ganze Wirkungsspektrum dieser Bakterien spiegeln. Ab dem Kleinkindalter reicht eine landesübliche, kleinkindgerechte Mischkost, um die Darmflora weiterhin gesund zu erhalten. Von Spezialdiäten wie z.B. veganer Ernährung ist dringend abzuraten.
Wie bemerkt man, dass mit dem Darm etwas nicht stimmt?
Ausdruck einer gesunden Darmfunktion ist ein unauffälliges Stuhlmuster. Dieses beschreibt man anhand der Häufigkeit des Stuhlgangs, der Stuhlkonsistenz (fest, flüssig) und dem Aussehen (Blut im Stuhl wäre z.B. auffällig). Die Häufigkeit des Stuhlgangs ist bei Babies und Kleinkindern individuell sehr unterschiedlich und kann beim gestillten Säugling zwischen einmal alle 10 Tage aber auch 5-6mal pro Tag variieren. Weiters haben Kindes bis etwa 4 Jahre relativ größere Stuhlmengen, sodass ihr Stuhlmuster insgesamt etwas anders sein kann als das eines Erwachsenen und damit nicht verglichen werden sollte. Gibt es jedoch plötzliche Abweichungen vom sonst üblichen Stuhlmuster (z.B. ein Kinder hat 3mal pro Tag Stuhl, dann plötzlich 12mal am Tag, kann plötzlich nicht mehr spontan Stuhl absetzen, krümmt sich und sitzt viel zu lange auf der Toilette), sollte das Kind einem Arzt vorgestellt werden. Je kleiner das Kind, desto rascher ist ein Arzt aufzusuchen. Grundsätzlich gilt: Ein Kind, welches gut zunimmt und sich insgesamt in gutem Allgemeinzustand befindet, hat auch wenn sein Stuhlmuster anders ist als jenes seiner Eltern in der Regel keine gravierende Darmerkrankung.
Welche Darmerkrankungen im Kindes- und Jugendalter können entstehen und welche Therapien können dann angewandt werden?
Man unterscheidet akute und chronische Erkrankungen. Das Leitsymptom der häufigsten akuten Darmerkrankung bei Kleinkindern ist Durchfall. Man spricht dann von Durchfall, wenn der Stuhl so dünnflüssig ist, dass er in ein Gefäß rinnen und es sozusagen „auskleiden“ könnte. Der Grund für eine Durchfallerkrankung ist eine akute Infektion, die in 40 % der Fälle durch Viren hervorgerufen wird. Die häufigsten sind Rotaviren, dagegen gibt es bereits Impfprogramme und Adeno- sowie Noroviren. Diese Viruserkrankungen sind nicht durch z.B. eine antivirale Substanz zu behandeln, vielmehr gilt es, den Flüssigkeitsverlust, der durch die Durchfallerkrankung entsteht, auszugleichen. Der Durchfall dauert so lange an, bis das Virus „herausgeschwemmt“ wurde, dieser Vorgang sollte nicht unterbrochen werden. Erst wenn Durchfall länger als zwei Wochen andauert, spricht man von chronischem Durchfall mit der Gefahr, dass letztlich Nährstoffe nicht mehr so gut aufgenommen werden können und sich sogar eine Gedeihstörung entwickeln kann. Ein weiteres klinisches Alarmzeichen ist Blut im Stuhl.
Chronischer Durchfall kann Symptom der Zöliakie sein, von der mehr als 1% der Bevölkerung betroffen sein dürfte. Es handelt sich um eine Getreideunverträglichkeit, bei der bestimmte Getreidesorten weggelassen werden müssen. Die Diagnose wird durch spezielle Labortests und Gewebeprobeentnahmen aus dem Zwölffingerdarm erstellt. Werden alle Diagnosekriterien erfüllt, kann man in Österreich um erhöhte Familienbeihilfe ansuchen, die in der Regel bis zum Ende der Schul/Lehrausbildung des Kindes, gewährt wird.
Wird Zöliakie nicht ordnungsgemäß behandelt, ist mit Langzeitfolgen zu rechnen:
Eisenmangel (beeinträchtigt die Leistungsfähigkeit des Kindes)
Osteoporose (Knochen werden porös), etc.
Welche Rolle spielen Nahrungsunverträglichkeiten bei Darmproblemen?
Im Darmepithel des Dünndarms findet sich u.a. das Enzym Laktase, welches aktiv ist, wenn das Baby auf die Welt kommt. Laktase ist also beim Neugeborenen ausreichend vorhanden und dient zur Verarbeitung von Milchzucker (Laktose). Muttermilch enthält verhältnismäßig viel Laktose (7gr pro 100 ml). Nimmt die Aktivität der Laktase im Laufe des Lebens ab, kann eine Laktoseunverträglichkeit entstehen. 75-90 % der Weltbevölkerung, v.a. Chinesen und Japaner, haben diese „primäre adulte Hypolaktasie“. Je südöstlicher die Herkunft in Europa, desto höher der Prozentsatz der davon Betroffenen. Die Diagnose wird mit Hilfe eines Atemtests gestellt und kann gut mit laktosefreien Produkten ausgeglichen werden. Die Fruktoseunverträglichkeit (Fruktosemalabsorption) ist ein Missverhältnis zwischen der Menge der aufgenommenen Fruktose und der Kapazität des Darms damit „umzugehen“. Fruktose ist in großer Menge v.a. in Apfelsaft und Birnensaft enthalten. Aber auch Zuckeraustauschstoffe wie z.B. Sorbit (in Kaugummis enthalten) können ebenso wenig verträglich sein. Ein Zuviel an Fruktose z.B. durch ständiges Reichen einer Apfelsaftflasche kann Durchfall auslösen.
Was zählt zu den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (u.a. Morbus Crohn, Colitis ulcerosa) und welche Therapien könnten hier angewandt werden?
Derzeit werden Morbus Crohn, Colitis ulcerose (CU) und Colitis indeterminata unter dem Begriff „chronisch-entzündliche Darmerkrankungen“ (CED) zusammengefasst.
Obwohl z.B. Morbus Crohn (MC) schon 1932 von dem New Yorker Arzt Dr. Crohn beschrieben wurde, sind die Ursachen der CED bisher nicht geklärt. Man weiß aber von familiärer Häufung und nimmt eine Überreaktion des körpereigenen Abwehrsystems, evtl. auch auf Komponenten der eigenen Darmflora an, die sich dann an der Darmschleimhaut „abspielt“ und unterschiedlichste Symptome hervorruft. Bei der CU sind blutiger Durchfall und Bauchschmerzen häufig, beim MC auch „verstecktere“ Probleme wie Appetitlosigkeit, Müdigkeit, Gewichtsabnahme und verzögerter Pubertätsbeginn.
Die Diagnostik der CED ist umfassend und erfordert auch Spiegelungen des Magendarmtrakts. Je nach Schwere und Typ der CED wird eine individuell maßgeschneiderte medikamentöse Therapie, auch mit Kortison oder mit sog. „Immunmodulatoren“ begonnen. Kortison wird möglichst kurz gegeben, wobei bei MC anfangs mit ausschließlicher Ernährungstherapie (flüssige Spezialnahrung über 6-8 Wochen) oft ein eindrucksvolles „Zurückdrängen“ der Erkrankung möglich ist, sodass kein Kortison verordnet werden muss. Die Behandlung mit Immunmodulatoren ist hingegen eine Dauertherapie, die, wenn sie unzureichend ist, noch intensiviert werden kann, durch Gabe von sog. Biologika – manchmal ist aber auch eine Operation des erkrankten Darmabschnittes notwendig.
Univ. Prof. Dr. med. Almuthe Hauer, Leiterin des GPGE (Gesellschaft für pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung) – Weiterbildungszentrums an der Klinischen Abteilung für Allgemeine Pädiatrie. Univ. Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde, Medizinische Universität Graz