Es ist dem Erwachsenen oft gar nicht bewusst, wie sehr die eigene Erziehungsgeschichte bei der Erziehung unserer Kinder „dazwischenfunkt“. Wie oft wir unser Verhalten und unsere Werte von den eigenen Eltern ungefiltert übernommen haben und an unsere Kinder weitergeben. Ohne zu hinterfragen: „Ist das wirklich meine Meinung oder habe ich etwas übernommen, was gar nicht wirklich meine Überzeugung ist?“ Da lohnt sich der Blick auf die sich selbst, er gibt uns Aufschluss über unsere Rolle als Eltern.
Baby Guide sprach mit Nicole Hoberstorfer über neue Maßstäbe im Familienleben und Mut zu sich selbst mit allen Stärken und Schwächen.
Mit Encouraging möchten Sie neue Maßstäbe in der Kindererziehung und im Familienleben setzen. Was bedeutet Encouraging und auf welchem Konzept baut es auf?
Encouraging baut auf einem Konzept aus der Individualpsychologie von Alfred Adler, Rudolf Dreikurs und Theo Shoenaker auf. Der Mensch hat jederzeit die Chance zur eigenen positiven Lebensgestaltung. Dazu benötigt er Selbsterkenntnis und den Mut, neue Wege zu gehen. Zu oft aber fehlt dem Menschen der Mut zu sich selbst mit all seinen Stärken und Schwächen. Die meisten Menschen wurden in ihrer Kindheit nicht anerkannt wie sie sind. Dieses Gefühl der Entmutigung schwächt und beeinträchtigt das Selbstvertrauen und das Selbstwertgefühl weit hinein bis ins Erwachsenenalter. Es belastet unser eigenes Leben aber auch die Beziehung zu den Menschen um uns herum. Mit dem Encouraging Training rücken wir die aktive Ermutigung in den Fokus der Aufmerksamkeit und schulen den realistischen und zugleich liebevollen Blick auf die eigene Person.
Was ist das Besondere an dieser Methode und wie sind Sie selbst dazu gekommen?
Von Theo Schoenaker entwickelt vermittelt der Ansatz des Encouraging den entscheidenden Perspektivenwechsel weg von der Fehlerorientierung hin zur Konzentration auf die persönlichen Stärken. „Das Konzept ermutigt Menschen, ihr eigenes Leben und die Beziehung zu anderen konstruktiv zu gestalten. Ermutigung bildet die Grundlage aller Erziehungs-, Wachstums- und Entwicklungs- wie Lernprozesse. Mit Ermutigung werden Sie groß,“ erläutert Nicole Hoberstorfer. Und das ist letztlich auch die beste Basis im Umgang mit Kindern, denn – so Nicole Hoberstorfer: „Zeigen Sie sich und Ihrem Kind, wie schön sich die Welt bewegt, wenn man auf sich selbst, die eigenen Stärken und seinen Mut vertrauen kann.“ Das Buch „Kinder fordern uns heraus“ – ein Erziehungsklassiker von Rudolf Dreikurs – brachte mich zur Individualpsychologie und dem Encouraging Konzept. Nach der Geburt meines ersten Sohnes beschäftigte ich mich intensiv mit dem Thema Erziehung und war vom Ansatz so begeistert, dass ich eine Ausbildung zur Encouraging Trainerin absolvierte.
Familienleben bedeutet ja auch sich jeden Tag neuen Herausforderungen zu stellen.
Warum tappen wir im Alltag mit unseren Kindern und Partnern immer wieder in Erziehungsfallen, die aus der eigenen Geschichte kommen? Wie kann man daraus lernen und Fehler vermeiden?
Unsere eigene Kindheit sowie der Erziehungsstil unserer Eltern prägen die Art, wie wir mit unseren Kindern umgehen. Woran wir glauben, was wir für richtig und für gut empfinden, hat sich größtenteils schon sehr früh in unserem Heranwachsen in uns manifestiert. Diese sogenannten Glaubenssätze beeinflussen unsere Meinungen, Wertehaltung, Verhalten bis weit hinein ins Erwachsenenalter und werden so oftmals auch in die Familiensituation eingebracht. Die Familienexpertin: „Der erste Schritt ist deshalb ein Blick auf uns selbst, der uns Aufschluss über unsere Rolle als Eltern gibt.“ Ein Beispiel, das die Familienexpertin anführt: „Ich selbst musste als Kind bei Tisch immer ruhig und bis zum Ende der Mahlzeit sitzen. Zappeln heute meine Kinder bei Tisch und haben gegessen, ist automatisch der Satz in meinem Kopf: Kinder müssen bei Tisch ruhig und bis zum Ende sitzen! – Doch ist das wirklich meine Erziehungs-Überzeugung? Oder habe ich hier etwas übernommen, was mir persönlich eigentlich nicht so wichtig ist?“
Wie kann man den Blick auf die eigene Person schulen und sich auf seine persönlichen Stärken konzentrieren? Warum ist das wichtig?
Indem wir uns regelmäßig darüber reflektieren, was unsere Stärken sind, und uns darauf besinnen, was wir gut können, worin wir uns auszeichnen, beschäftigen wir uns mit uns selbst auf eine Weise, die das Positive in den Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit stellt. Positives Denken über jemanden bedeutet positives Handeln demjenigen gegenüber. Das gilt freilich auch für uns selbst. Schätzen wir uns selbst, sind wir mit uns zufrieden und strahlen dies auch aus. Gelingt es uns, uns selbst mit all unseren Schwächen anzunehmen und unseren Blick im Wesentlichen auf unsere Stärken zu richten, tun wir dies auch bei uns nahe stehenden Menschen und treten ihnen gegenüber mit Toleranz und Empathie auf.
Wie kann man die Entwicklung seines Kindes optimal beeinflussen?
„Wesentlich für Ihr Kind wird sein, sich mit all seinen Stärken und Schwächen zu akzeptieren und daraus groß und stark zu werden. Psychisch, physisch, mental und emotional. Ziehen Sie Ihr Kind groß, machen Sie es nicht klein! Ermutigen Sie Ihr Kind und tappen Sie nicht in Erziehungsfallen, die aus der eigenen Geschichte oder aus der Prägung durch die Umwelt kommen. Das ist nicht einfach, aber kaum eine Aufgabe könnte lohnender sein.“
Wie kann man seinem Kind die eigenen Stärken zeigen und Entmutigung vermeiden? Wie kann man es lehren mit seinen Schwächen umzugehen?
Wichtig ist, dem Kind zu kommunizieren, dass kein Mensch perfekt ist, dass wir alle unsere Schwächen haben und dass das nichts Schlechtes ist. Wir sind nicht minder, weil wir unvollkommen sind – wir sind menschlich. Vor allem kleine Kinder lernen am Beispiel. Sie imitieren ihre nahen Bezugspersonen. Deshalb ist es unerlässlich, das, was wir „predigen“ auch vorzuleben und mit unseren eigenen Schwächen gut umzugehen. Das heißt, sie zuzulassen, uns nicht dafür zu schämen oder weniger wert zu fühlen, sondern zu ihnen zu stehen und uns auf das Positive, unsere Stärken zu fokussieren. Macht ein Kind einen Fehler, bekommt es eine schlechte Note oder Ähnliches sollten wir als Eltern nicht schimpfen oder es dafür rügen, sondern konstruktiv auf unsere Kinder einwirken und ihnen unsere Unterstützung anbieten. Wenn wir Kinder für ihre Fortschritte loben (etwa eine bessere Vorbereitung auf eine Prüfung), ermutigt sie das mehr, als wenn wir sie für ihre Ergebnisse loben (etwa die Note auf die Prüfung). Und genauso entmutigt es sie auch weniger, wenn wir ihre Fortschritte lobend erwähnen, als wenn wir das Ergebnis kritisieren.
Nicole Hoberstorfer lebt und arbeitet in Wien. Sie studierte Handelswissenschaften an der WU-Wien und ist als Human Resources Managerin und als Personalleiterin tätig. Neben ihrer beruflichen Tätigkeit absolviert sie mehrere Aus- und Fortbildungen, wie zur Encouraging Trainerin, Elternbildnerin und Erziehungsberaterin. Sie lehrt an der FH der Wirtschaftskammer Wien zum Thema Kommunikation im Bewerbungsprozess. Nicole Hoberstorfer ist verheiratet und Mutter zweier Kinder.