Die rund 5600km2 große Insel im Indischen Ozean ist die westlichste der kleinen Sunda-Inseln und die einzige Insel im indonesischen Archipel, auf die der Islam keinen Einfluss ausüben konnte. Hier haben sich indische und hindu-javanische Überlieferungen mit älteren, eigenständigen Elementen vermischt und bis zum heutigen Tag nahezu unverfälscht erhalten.
Ahnenverehrung, Elemente des Buddhismus und vor allen Dingen des Hinduismus verschmolzen zu einer Religion, die eine einzigartige Kultur entstehen ließ. Das tägliche Leben aller wurzelt fest in diesen Traditionen.
Balis Kulturgeschichte reicht drei- bis viertausend Jahre zurück. Die Balinesen betrachten ihre Heimat als Leihgabe der Götter, als maßstabgetreues Modell des Universums. Sie versuchen im Gleichgewicht zwischen guten und bösen Kräften zu leben und dafür zu sorgen, dass Harmonie zwischen den Mächten besteht.
Kinder gelten als Schatz
Traditionell leben alle Balinesen im Familienverband. Unter ein und demselben Dach wohnen zumeist Eltern, Kinder und Großeltern zusammen, und nicht selten gesellen sich verwitwete oder hilfsbedürftige Verwandte dazu. Das gibt den Menschen Nestwärme und Sicherheit, macht den Lebensabend der Alten leichter und vereinfacht die Erziehung der Kinder, die so neben den Eltern und Geschwistern auch Oma und Opa als Spielkameraden haben. Besonders die Kinder sind auf Bali privilegierte Wesen und werden nahezu abgöttisch geliebt. Es gibt kaum etwas, das man den Jüngsten bis zu einem gewissen Alter übel nehmen würde. Nichts ist den familienorientierten Balinesen so wichtig wie Kinder – je mehr desto besser, allen bevölkerungspolitischen Kampagnen der Regierung zum Trotz. Zu sehr betrachten Balinesen ihren Nachwuchs als Schatz, als dass sie Familienplanung ernsthaft in Erwägung ziehen würden, können sie sich im Alter doch des Respekts und der Fürsorge ihrer Kinder sicher sein. Aber nicht nur wegen der Existenzsicherung sind Kinder der vorrangige Zweck einer Eheschließung – vor allem Söhne werden herbeigesehnt, damit diese nach dem Tode der Eltern die heiligen Riten vollziehen. Für die Balinesen, die an den kontinuierlichen Zyklus von Geburt, Sterben und Wiedergeburt glauben, ist die Gewissheit, dass die Kinder einmal die vorgeschriebenen Riten zur Befreiung ihrer Seelen vollziehen, wichtiger als jegliche irdische Fürsorge. Eine kinderlose Ehe gleicht für sie einer Katastrophe: Kinderlosigkeit ist ein Scheidungsgrund, kinderlose Junggesellen gelten als Versager.
Freudiges Ereignis Geburt
Die Geburt eines Kindes erwarten Familie und Dorfgemeinschaft mit Freude und Spannung, bedeutet sie doch die Wiederkehr eines Teils ihrer selbst, denn in dem Kind wird die Seele eines Vorfahren und eines ehemaligen Dorfmitgliedes wiedergeboren. Mit Respekt und Rücksicht tritt man der Schwangeren gegenüber, die sich in dieser Zeit besonders vor dem Einfluss der bösen Geister hüten soll. Bereits vor der Geburt finden die ersten Rituale statt. Verwandte des zukünftigen Erdenbürgers (die schwangere Mutter gilt als kultisch unrein und muss Tempel und Reisfelder meiden) ermuntern mit Opfern die guten Geister, das ungeborene Leben zu schützen. Am Tag der Niederkunft werden zahlreiche Opfer gebracht und reichlich segnendes und reinigendes Tirtha (heiliges, geweihtes Wasser) versprengt. Der Säugling erblickt in Anwesenheit von Familie und Freunden das Licht der Welt. Als die „vier älteren Geschwister“ des Säuglings gelten Blut, Fruchtwasser, Nabelschnur und Nachgeburt, die ihn während der Schwangerschaft beschützt haben. Diese werden unmittelbar nach der Entbindung in einer bemalten Kokosnussschale begraben und um ihren weiteren Schutz zu erbitten, wird ein Altar errichtet und werden Opfergaben dargebracht. Zehn Tage nach der Geburt werden Kind und Mutter vom Priester rituell gereinigt. Damit wird die Zeit von Schwangerschaft und Geburt abgeschlossen, die Mutter kann ihre Rolle als Hausfrau wieder aufnehmen.
Erst nach 105 Tagen betritt der Säugling die irdische Welt
Wenn die Kleinen auch früh mit dem Ernst des Lebens konfrontiert werden – bis es soweit ist, gehören sie sicherlich zu den glücklichsten Kindern dieser Erde. Nicht, dass sie mit Spielzeug und anderen Geschenken überhäuft würden. Womit sie reichlich verwöhnt werden, ist Liebe, Zuwendung und Nestwärme. Kaum hat ein balinesisches Kind das Licht der Welt erblickt, wird es fürsorglichst bemuttert und umhegt. Vor allem in den ersten Lebenswochen zeigen die Eltern den Göttern ihre Dankbarkeit für den Schutz des neuen Lebens durch regelmäßige Opfergaben, eine angesichts der auf Bali relativ hohen Säuglingssterblichkeit besonders verständliche Geste. Während die Kinder heranwachsen, kümmern sich ausnahmslos alle Familienmitglieder liebevoll um sie. Sie werden – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes – fast ständig auf Händen bzw. im Hüft- oder Schultertuch, getragen. Sie gelten als heilige Wesen und als Reinkarnation eines vergöttlichten Ahnen darf ein neugeborenes Kind mindestens drei Monate lang nicht mit dem unreinen Erdboden, welcher der Sphäre der Dämonen sehr nahe ist, in Berührung kommen. Nach 105 Tagen findet ein Fest statt. Erst jetzt dürfen sie die irdische Welt betreten. In einer besonderen Zeremonie werden sie behutsam auf den Boden gestellt – versehen mit allen guten Wünschen für ein Leben auf eigenen Füßen. Damit ist der Übergang von der göttlichen in die menschliche Sphäre vollzogen. Zudem nimmt bei der sogenannten Drei-Monats-Feier ein Priester den ersten Haarschnitt vor.
Namensgebung
Am 210. Tag hat das Baby nach dem balinesischen Kalender seinen ersten Geburtstag. (Dieser Tag ist sehr wichtig, für die Balinesen aber schwer zu merken, da er nicht mit einem konkreten Datum im gregorianischen Kalender übereinstimmt. Daher wissen viele alte Balinesen nicht, wie alt sie sind, da sie irgendwann mit dem Führen mehrerer Kalender parallel durcheinandergekommen sind.) An diesem ersten Geburtstag, den die Familie mit einem großen Fest feiert, erhält das Kind vom Vater seinen Namen. Fast alle Balinesen tragen den gleichen (Vor-)Namen. So sehr balinesische Kinder in ihren ersten Erdenmonaten umhegt werden, so wenig erfinderisch sind ihre Eltern bei der Namensgebung. Bei den Bauern und Handwerkern (die niedrigste Kaste) denen über 90% der Balinesen angehören, werden die Kinder nach der Reihenfolge ihrer Geburt benannt. Für erstgeborene Buben oder Mädchen Wayan, Zweitgeborene werden Made getauft, Drittgeborene Nyoman und Viertgeborene Ketut. Bei mehr als vier Kindern wiederholt sich die Reihenfolge der Namen. Neben dem Namen in dem die Geburtsfolge zum Ausdruck kommt, tragen Balinesen häufig noch einen zweiten Namen. Dieser ist jedoch nicht unveränderlich in der Geburtsurkunde fixiert, sondern kann sich im Laufe des Lebens ändern, mitunter sogar mehrmals. So erhält das Baby zwölf Tage nach der Entbindung einen vorläufigen Namen, der nach 210 Tagen, an seinem ersten Geburtstag, durch einen anderen ersetzt wird. Abermals kann der Name gewechselt werden, falls ein Kind oder Jugendlicher plötzlich schwer erkrankt – dadurch werden die Dämonen, welche die Krankheit verursacht haben, in Verwirrung gebracht. Sobald ein junger Mann oder eine Frau selbst Vater oder Mutter sind, legen sie sich wieder einen neuen Namen zu – jetzt heißt er Vater von Soundso bzw. Mutter von Soundso. Eine erneute Namensänderung steht bei der Geburt von Enkelkindern an. Geht ein langes Leben zur Neige, können sich alte Balinesen häufig nicht einmal mehr selbst an jeden einzelnen ihrer zahlreichen Namen erinnern.
Zukunftsorakel
Ein weiteres Ritual findet nach 7 Monaten statt. Das Kind wird mit 7 Gegenständen, die 7 Berufe symbolisieren, in einen Korb gesetzt, um orakelhaft seine eigene Zukunft mitzuentscheiden. Der Gegenstand, den es ergreift, wird seine berufliche Laufbahn mitbestimmen. Anders, als im westlichen Kulturkreis, wo man Kinder schon früh ermuntert, Meinungen und Wünsche zu äußern und ihre individuelle Persönlichkeit zu entfalten, lernen Balinesen von Kindesbeinen an, sich in die vorgegebenen sozialen Strukturen einzufügen und ihre Stellung in der Großfamilie einzunehmen. Je größer die Geschwisterzahl, desto mehr widersprechen einander bisweilen die Bedürfnisse und desto mehr muss sich das einzelne Kind bescheiden und mit den anderen arrangieren. Oft genug muss es nachgeben, so wie auch die anderen nachgeben müssen. So entwickeln balinesische Kinder ein besonderes Feingefühl für die Stimmungen und Bedürfnisse anderer. Die Erziehung der Balinesen verurteilt im allgemeinen Habgier, materialistisches Streben sowie Selbstsucht und stellt Zurückhaltung, Bescheidenheit, Demut, Großzügigkeit und Selbstlosigkeit allem voran. Benimmt sich ein Kind doch einmal daneben, dann wird es mit sanften Druck wieder in die richtige Bahn gelenkt. Schelten oder gar körperliche Strafen gibt es so gut wie nie. Das Ergebnis dieser Erziehung ist eine starke Abhängigkeit von der Familie, aber auch ein lebenslanges Verantwortungsgefühl für sie, sowie ein ausgeprägtes soziales Verhalten und Streben nach Harmonie.