Wie wecke ich das Interesse meines Kindes an Büchern
Kinder sind von Natur aus neugierig. Diese Neugierde kann man nutzen und schon den Kleinsten Bücher anbieten, wo sie Gegenstände aus dem Alltag wiedererkennen, dazu passende Geräusche hören um so die Motivation zu wecken, später einmal selbst lesen zu wollen.
Schon kleine Kinder sind von Natur aus neugierig und wissbegierig. Staunend betrachten Sie die Welt ringsherum, versuchen Dinge zu entdecken und auszuprobieren. Diese Entdeckerfreude kann man nutzen und schon den Kleinsten Bücher anbieten, wo sie vertraute Gegenstände wieder erkennen, wo sie sich selbst in gewohnten Handlungsabläufen wieder finden oder passende Geräusche hören, die zu den Dingen Ihres Alltags gehören. Und vor allem beim Vorlesen entdeckt das Kind eine ganz neue Welt voller Spannung und Abenteuer. Die Motivation einmal selbst lesen zu können, wird umso größer.
Baby Guide sprach mit MMag. Michaela König, selbst Mutter dreier Kinder, die u.a. als wissenschaftliche Beraterin beim Österreichischen Buchklub der Jugend arbeitet, über den spannenden Prozeß des Lesenlernens.
Wie kann man schon bei ganz kleinen Kindern die Lust am Lesen wecken?
Lesen ist heute eine der wichtigsten Fähigkeiten – ohne Lesen gibt es keinen Zugang zu Bildung, in die Arbeitswelt und zu den neuen Medien wie Internet und Computer. Für Kinder ist es daher ganz wichtig, dass sie schon möglichst früh gerne zu Bilderbüchern greifen. Eine ganz bedeutende Rolle kommt dabei natürlich den Eltern zu. Sie sollten schon ihre Säuglinge für Sprache interessieren, das heißt nicht nur Bedürfnisse stillen – wie Hunger, Schlaf und Zärtlichkeit – sondern auf jeden Fall viel mit den Kindern sprechen. Man kann zum Beispiel Rundgänge durch die Wohnumgebung unternehmen, den Säugling tragen und dabei einfach beschreiben, was man sieht und macht. „Schau, jetzt muss ich die Waschmaschine einräumen. Hörst du, das Telefon läutet? Beschreiben Sie den Alltag! Der Säugling genießt die Ansprache und den Klang Ihrer Stimme, und in seinem Gehirn werden wichtige Vernetzungen angelegt, die dem Kind später auch beim Lesenlernen helfen werden. Natürlich können Sie ihrem Baby auch schon in der ersten Zeit vorlesen.
Welche Bücher eignen sich dafür am besten?
Bunte Bilder sprechen ganz kleine Kinder besonders an. Dabei geht es nicht darum, den Kindern täglich ein neues Buch zu präsentieren. Im Gegenteil! Kleine Kinder genießen es sehr – oft über Monate hinweg – immer wieder dasselbe Buch/dieselbe Geschichte, zu sehen/zu hören. Der Genuss besteht vor allem darin, genau zu wissen, wie die Geschichte weitergeht – und wehe Ihnen, wenn Sie mal eine Seite auslassen! Für ganz kleine Kinder sind Bilderbücher aus Pappe oder Plastik bzw. Stoff geeignet. Dann können die Babys das Buch mit allen Sinnen begreifen lernen. Einfache bunte Bilder, zu denen Lesende etwas erzählen können, sind ideal. Vielleicht führen diese Bilder auch in die Realität. Sie können ein Bild von einem Ball ansehen und beschreiben, und dann den eigenen Ball suchen und damit spielen. So entstehen „Überbegrifflichkeiten“: Denn ein Ball bleibt ein Ball, auch wenn er zweidimensional gezeichnet ist und ganz anders gefärbt ist, als der, den man dreidimensional in Händen hält!
Wie wichtig ist das Vorbild der Erwachsenen?
Kinder entdecken die Freude am Lesen am besten Zuhause: beim Vorlesen, beim gemeinsamen Blättern in Büchern. So erfahren sie, dass Bücher wertvolle Begleiter sind, Spaß machen und trösten können. Ein lesendes Umfeld hat dabei eine vorbildhafte Wirkung! Natürlich werden Bezugspersonen nicht seelenruhig neben den Kindern lesen können, aber Bücher sollten nicht in verschlossenen Kästen liegen oder nur herausgenommen werden, wenn die Kinder gerade schlafen. Schrift ist im Alltag ohnehin überall gegenwärtig. In der Küche z. B. als Kochbücher und Einkaufszettel, im Bad auf sämtlichen Pflegeprodukten, sogar am Klopapier am WC … Daher sollte es für Kinder normal sein, dass Erwachsene ständig lesen, denn eines ist sicher: Haben wir das Lesen einmal erlernt, können wir eines nie mehr: Schrift betrachten, ohne sie zu lesen!
Sollte man schon vor Schuleintritt Buchstaben lesen üben, wenn das Kind großes Interesse daran zeigt; wie erklärt man korrekt?(z. B. „F“, „B“, „C“, „D“ etc.)
Manche Kinder entwickeln schon sehr früh ein Interesse an Schrift und den Buchstaben. Für alles, was Kinder interessiert und wonach sie fragen, gilt: Geben Sie immer Antworten! Im Falle von Buchstaben erklärt man Kindern am besten, dass man das, was wir sagen, auch aufschreiben kann, und dass Geschriebenes aus Worten besteht und diese Worte wiederum aus Buchstaben zusammengesetzt sind. Jeder dieser Buchstaben hat einen bestimmten Klang – einen Laut – und jedem dieser Laute ist ein Zeichen zugeordnet – der Buchstabe. Am Beispiel des Namens des Kindes geht das Erklären am einfachsten: Dein Name besteht aus vier Buchstaben: L – E – N – A. (Die Mitlaute spricht man als L und N aus nicht als eL und eN, das ist wichtig!) Weiterspielen kann man dann mit den einzelnen Buchstaben wie: Wo hörst du das A bei Lena? Am Anfang oder am Ende? Welcher Buchstabe ist der erste in deinem Namen? Versuch mal deinen Namen zu klatschen: LE – NA, genau, da kannst du zweimal klatschen! … Daraus ergeben sich viele lustige Sprachspielereien, die sehr wichtig für das spätere Lesenlernen sind. Beim Schreibenlernen ist es u. a. wichtig, dass man einen Stift halten und die Buchstaben richtig abzeichnen kann. Das üben Kinder meist in den vielen Kritzelbriefen, die sie verfassen. Sie versuchen uns nachzuahmen und malen Wellen und buchstabenähnliche Zeichen auf ihre Zettel. Auch hier soll man die Kinder in ihrem Tun bestärken und wenn man merkt, dass der Zeitpunkt gut ist, kann man auch korrigierend eingreifen. Wir lernen durch Nachahmung und dann, wenn wir dafür gelobt werden, eben am besten!
Welche Stufen durchlaufen Kinder beim Prozess des Lesenlernens?
Es gibt in der Wissenschaft viele Modelle, die den Leselernprozess beschreiben. Der Buchklub hat versucht – gerade nach der PISA-Diskussion – all diese Modelle auf ein praktikables, auch für Laien leicht verständliches Stufenmodell zu reduzieren, in dem alle wichtigen wissenschaftlichen Erkenntnisse eingebettet sind – die Lesestufen: Lese-Basis Auf dieser Stufe erwerben Kinder wichtige Vorläuferfertigkeiten für das Lesen – vor allem Verständnis für Schrift (Laut/Buchstaben-Beziehung) und das phonematische Bewusstsein – die Fähigkeit, Laute zu erkennen und zu differenzieren.
Auf dieser Stufe ist es besonders wichtig, alle Sinne der Kinder zu schärfen und vor allem ihr Hörverständnis zu schulen. Lese-Technik Kinder erlernen die ersten Leseschritte: von der phonologischen Strategie, bei der sie Buchstabe für Buchstabe „zusammenlautend“ zu Wörtern zusammensetzen, bis zur lexikalischen Strategie, bei der Kinder ganze Wörter erkennen und in ihrem Gedächtnis speichern. Lese-Sicherheit Auf dieser Stufe vertiefen Kinder sicheres und flüssiges Lesen.
Es gilt: Wer gern liest, liest viel. Wer viel liest, liest gut. Wer gut liest, liest gern. Kinder brauchen jetzt vor allem Texte, die für sie erkennbaren Sinn machen: die ihnen Spaß vermitteln, Neugier wecken oder das individuelle Interesse befriedigen. Nur dann werden sie bereit sein, viel zu lesen um die Tätigkeit zu automatisieren. Lese-Verständnis Damit ein Text als Ganzes erfasst werden kann, lernen Kinder auf dieser Stufe ihn zu gliedern: in Sinnschritte, in Abschnitte, in Wichtiges und Unwichtiges, sie lernen Schlüsselwörter erkennen, für sie Wesentliches herauszusuchen, Texte zusammenzufassen. Lese-Reflexion Auf dieser Stufe beginnen Kinder, Texte zu interpretieren und über sie zu reflektieren. Vergleichen, interpretieren, kommentieren, den Text weiterspinnen, eigene Gefühle und Erfahrungen einbringen, mit anderen LeserInnen ins Gespräch kommen – das zeichnet kompetente LeserInnen aus.
Wie kann man bei älteren Kindern Lesenlernen frühzeitig fördern und unterstützen?
Eine Idee wäre das „4-Hauben-Lesegericht“ Man nehme: 1 Bilderbuch 10 Minuten Ungestörtheit (Vergessen Sie nicht das Handy abzustellen!) 10 Minuten Geduld 1 Lesebrille 1 oder mehrere Kinder unbedingt 1 Prise Gemütlichkeit 1 anregende Vorlesestimme
Zubereitung Das Kind/die Kinder und sich selbst in eine gemütliche Leseposition bringen und die Erwartung schüren. Dann den Titel des Buches lesen, oder auch vom Kind selbst lesen lassen. Das Buch öffnen und betont, mit „spannender“ Stimme vorlesen. (Unerlässlich ist es, die zu lesenden Seiten schon vorab einmal durchgelesen zu haben. So wissen Sie genau, wo man gut eine Pause einlegen kann, wo Spannungsmomente vorkommen und wie Sie die ZuhörerInnen einbinden können!) Bilder im Buch besprechen und Kinder auch während des Vorlesens Fragen stellen lassen. So kann ein köstliches Gespräch entstehen und aufmerksames Zuhören gefördert werden. Sollte die Lesebrille zu rutschen beginnen, ist dies ein Zeichen dafür, dass das Vorlesen eventuell von einem der Zuhörer übernommen werden könnte.
Ein Tipp: Wechseln Sie dazu auch die Plätze, sodass Sie selbst in die Rolle des Zuhörers schlüpfen können. Halten Sie unbedingt die Zeit ein! Zehn Minuten – je nach Alter der Zuhörer – sind meist genug!
Dieses Leserezept soll einfach wiedergeben, wie wichtig das Vorlesen sein kann, und dass es wie Essen und Trinken zum täglichen Leben gehören sollte. Das Alter der Kinder spielt dabei meist eine eher nebensächliche Rolle. Denn auch größere Kinder lauschen am Abend gerne einer Geschichte aus dem Bilderbuch – vielleicht ist es ja gerade das längst vergessene Lieblingsbuch, das der Schwester/dem Bruder jetzt genauso gut gefällt wie einem einst selbst? Ganz egal, es geht vor allem um die Gemütlichkeit, ums Kuscheln, ums Lesen, ums Beisammensitzen. Einmal ruhig nebeneinander sitzen, zuhören und still sein, sich ins Buch reinfallen lassen und genießen. Natürlich kann man beim Vorleseritual auch einmal einen Rollentausch wagen. Aber auch dieser sollte gut vorbereitet sein.
Eine Idee wäre, einen Lesekalender zu gestalten, auf dem jeweils die Namen der Vorleser eingetragen sind, damit sich jeder rechtzeitig auf seine Rolle als Leser oder Zuhörer einstellen kann. Aber Achtung: All diese Ideen sollen nicht dazu führen, dass das Vorlesen zum täglichen Muss wird. Es soll ganz im Gegenteil dazu führen, dass das Vorlesen ein fixer Bestandteil des Alltags wird, dass es fehlt, wenn es mal aus irgendeinem Grund ausfällt. Denn nicht mit Zwang und Drill werden wir Kinder zum Lesen begeistern können, sondern mit Geduld und Muße.
Wie kann man das Leseverständnis auf spielerische Weise stärken? Wie kann man „Lesemuffel“ motivieren?
Es gibt eine Vielzahl an Möglichkeiten die Kinder auch fern ab vom Buch zum Lesen zu motivieren. Für die Kleinen würde ich z. B. das Buchklub-Magazin mini-PHILIPP empfehlen. Der Anspruch des Buchklubs, Kinder auf die Schule vorzubereiten, spiegelt sich hier in einem Produkt wieder, das Vorlesen, Spielen und Reimen miteinander verknüpft. Viele Hinweise an Eltern erklären den Sinn der Übungen, die Themen sind interessant und reichen von literarischen Geschichten über Sachtexte bis hin zu darauf abgestimmten Übungen zu Motorik, Sprache oder visueller Differenzierung. Eine Fülle an Hörbüchern ergänzen die Möglichkeit, sich dem Lesen spielerisch zu nähern. Ich denke, dass – wie überall im Leben – beim Lesen eine ausgewogene Mischung geboten werden sollte. Und vor allem: Kaufen Sie den Kindern die Bücher, die sie sich selbst aussuchen! Denn Kinder haben ein gutes Gespür dafür, was sie gerne lesen würden, und die Lesemotivation ist beim selbst ausgesuchten Buch viel höher als beim geschenkten!
Welche Kriterien müssen Erstlesebücher erfüllen?
Viele Verlage bieten hervorragende Erstlesereihen an. Ob Lesepirat, Lesebiene oder Bücherbär, all diese Reihen achten darauf, dass Kinder gerne lesen. Die Schrift ist angenehm groß, die Bilder unterstützen das Leseverständnis. Die Bücher schauen einfach schön aus und sind auch nicht „schwer“ (vom Gewicht und vom Verständnis her). Die Themen reichen von Pferden über Piraten, Hexen und Freundschaftsgeschichten über Detektivgeschichten … Auf jeden Fall sind es Themen, die Kinder ansprechen und die sie gerne lesen. Eltern wird es mit diesen Reihen einfach gemacht, einen adäquaten Lesestoff für die Kinder auszusuchen.
Gibt es Unterschiede im Leseverhalten zwischen Jungen und Mädchen und warum?
Tatsächlich gibt es Unterschiede im Leseverhalten zwischen Mädchen und Buben. Mädchen wenden fürs Lesen mehr Zeit auf; Lesen und vor allem das Lesen von Büchern ist und war immer schon „Frauensache“. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Kinder in Kindergarten und Schule überwiegend auf Frauen treffen. Möglicherweise kommt die Auswahl des Lesestoffs daher mehr dem Geschmack von Mädchen entgegen als dem von Jungen. Wenn Buben und Männer lesen, dann scheinen sie eher an Fach- und Sachliteratur interessiert zu sein. Mädchen und Frauen hingegen greifen eher zum Roman. Dabei bewirkt der unterschiedliche Lesestoff auch ein anderes Leseverhalten. Außerdem leben Mädchen und Jungen in unterschiedlichen Medienumgebungen: Während Mädchen mehr Bücher besitzen, verfügen Buben über deutlich mehr neue Medien.
Welche Tipps für Eltern gibt es, damit das Kind auch längerfristig Spaß am Lesen hat?
- Seien Sie Lesevorbild! Lesen Sie selbst und freuen Sie sich mit Ihrem Kind über Gelesenes. Lesen Sie Ihrem Kind vor und lassen Sie sich erzählen, was es im Buch sieht.
- Ein Besuch in einer Bücherei, in einer Buchhandlung kann positiv dazu beitragen, dass das Lieblingsbuch gefunden wird.
- Auch kleine Kinder dürfen schon einen Platz für ihre Bücher im Bücherregal haben, leicht zugänglich und jederzeit verfügbar. Dann kann sich das Kind jederzeit mit Lesestoff versorgen! Wenn Platz ist, ist ein eigenes Bücherregal im Zimmer besonders schön.
- Lassen Sie Ihr Kind aktiv sein! Es darf selbst Bücher aussuchen, selbst umblättern, das Tempo bestimmen, Fragen stellen. Finden Sie heraus, was Ihr Kind interessiert und schenken Sie Bücher zu diesem Thema. Lesen Sie mit Ihrem Kind Rezepte, Gebrauchsanweisungen, Kataloge usw.
- Lesen kann man überall! Beim Spazierengehen und beim Autofahren: Straßen- und Verkehrsschilder, Logos, Werbetafeln.
- Verbinden Sie Bücher und Freizeit! Bücher gehören ins Urlaubsgepäck, in die Badetasche, in den Rucksack. Zum Vorlesen passen auch Singen, Reimen, Blödeln – das tun alle Kinder gern und es schult Gehör und Sprache.
- Zum Lesen gehört Bewegung! Schaukeln, Turnen, Wetzen, Lümmeln, Zeichnen, Kritzeln, Malen – alles ist erlaubt. Genießen Sie das Lesen mit Ihren Kindern und rufen Sie sich immer wieder ins Gedächtnis, wie sehr das Vorleseerlebnis Kinder für die Zukunft prägt!