Vertrautes schenkt Geborgenheit und Halt.Rituale sind wichtige Stützpunkte im Leben eines Kindes – besonders auch im Alltag. Durch die Wiederkehr von Vertrautem und durch verlässliche Regeln gewinnen Kinder Kraft, Zuversicht sowie Vertrauen in sich und andere. Rituale helfen Ihren Kindern, sich gesund zu entwickeln, und tun der Kinderseele gut. Baby Guide sprach mit Petra Kunze – eine erfahrene Mutter zweier Kinder und Autorin des Buches „Die schönsten Rituale für Kinder“.
Kinder brauchen Rituale – Warum sind Rituale für die Entwicklung des Kindes so wichtig?
Kinder, vor allem kleine Kinder, entwickeln sich so rasant, dass sie praktisch jeden Tag mit Neuem, Aufregendem konfrontiert werden. Unzählige neue Eindrücke prasseln täglich auf die Kleinen ein – da ist es wichtig, dass es auch etwas gibt, auf das sich das Kind verlassen kann, von dem es weiß, dass es auch morgen noch so sein wird, wie es heute war. Neben verlässlichen Beziehungen bieten das vor allem vertraute Rituale. Sie sind wichtige Anker und Begleiter im kindlichen (aber auch im erwachsenen) Leben, immer wiederkehrende Regeln und Strukturen, die auf liebevolle Weise Sicherheit und Geborgenheit vermitteln.
Welchen Stellenwert haben Rituale in der heutigen Zeit in den Familien?
Im Grunde sind Rituale ideale Erziehungshelfer. Wir leben in einer Zeit, in der weder der autoritäre noch der antiautoritäre Erziehungsstil en vogue sind – und das ist auch gut so! Denn moderne Eltern wollen ihren Kindern zwar Regeln, Grenzen und Werte vermitteln, dabei aber nicht ihr Kind verbiegen. Was eignet sich dazu besser als Rituale? Ein Beispiel: Gesittetes Essen bei Tisch ist Eltern durchaus wichtig. Sie wollen aber auch nicht jeden Tag aufs Neue eine „Tischpredigt“ darüber halten, wie sich ihr Kind benehmen soll. Also führen sie ein paar Rituale und feste Regeln ein, die schnell in Fleisch und Blut übergehen – und dazu noch Spaß machen: den „Händesalat“ beim Waschen, den Tischspruch vor dem Essen und einen (von den Kindern) hübsch dekorierten Tisch. Auch das Zubettgehen muss nicht täglich neu verhandelt werden, wenn es im Rahmen von Ritualen stattfindet: die Abendtoilette, die Gutenachtgeschichte, der Gutenachtkuss. Jede Familie kann sich dabei kleine Besonderheiten einfallen lassen. Eine Menge Anregungen finden Sie dazu im Buchtipp.
Welche Formen von Ritualen gibt es?
Es gibt Rituale für den Alltag, etwa Weck-, Frühstücks- oder auch Streitrituale, aber auch in Krisensituationen erleichtern sie das Leben, zum Beispiel um eine Krankheit durchzustehen, Ängste zu besiegen oder mit Trauer besser umzugehen. Rituale sind aber auch ganz wichtig, um Struktur ins Leben zu bringen und besondere Zeiten zu feiern, also bei der Geburt eines Kindes, als Begleitung beim Sauberwerden („Töpfchenrituale“) oder beim Abschiednehmen im Kindergarten. Dazu gehört aber auch das Feste feiern zum Geburtstag, zu Ostern oder zu Weihnachten. Unser Leben ist viel mehr von Ritualen geprägt, als uns das bewusst ist.
Wir haben einige Rituale für Sie zusammengefasst. Wichtig: es geht bei allen Ritualen für Kinder nicht darum, besonders originelle oder zeitaufwändige Versionen zu finden. Viel wichtiger ist es, die ausgewählten Rituale regelmäßig, verlässlich und liebevoll einzusetzen – nur dann erfüllen sie ihre Aufgabe!
So macht Körperpflege Spaß!
• Das morgendliche Waschen verwandeln ein lustiger (Tier-)Waschlappen oder ein fröhliches Lied in ein spielerisches Ritual.
• Auch das obligatorische Händewaschen vor dem Essen, kann ein lustiges Ritual werden, wenn sich alle zusammen die Hände waschen und so eine „Händesalat“ machen: Dazu stellen sich alle ans Waschbecken und waschen sich kunterbunt durcheinander alle Hände mit viel Wasser und Seife, zuerst langsam, dann immer schneller.
• Als Baderitual eignet sich ein ausgiebiges Familienbad gut als Abschluss des Familienwochenendes am Sonntagabend.
• Sogar das meist unbeliebte Haare waschen verliert schnell seine Schrecken, wenn es in ein solches Ritual eingebunden wird: vielleicht lustige „Haarskulpturen“ oder Schaumbilder mit dem Schaum kreieren.
Gemeinsamer Genuss: zusammen essen
• Zelebrieren Sie Ihre Mahlzeiten sooft es geht. Planen Sie dazu viel Zeit ein. Essenszeiten sollten echte Familienzeiten sein. Ihr Kind sollte früh lernen, dass jede Mahlzeit ein genussvolles, ruhiges Zusammenkommen mit Familienmitgliedern ist.
• „Tischlein deck dich“ – machen Sie Ihr Kind dafür verantwortlich, dass der Tisch hübsch gedeckt und dekoriert wird. Mit stimmungsvollem Kerzenlicht wird jede Mahlzeit zu einem kleinen Fest.
• Ein schönes Ritual bei Tisch ist ganz sicher ein Tischspruch, mit dem jedes Essen eröffnet wird:
„Wir reichen uns die Hände, nach guter alter Sitt`, und wünschen uns zur Jause, recht guten Appetit.“
Freizeit durch Rituale
Rituale sorgen dafür, dass der Tag eines Kindes nicht im Chaos versinkt. Sie schaffen wertvolle Ruheinseln in einem vollen Terminkalender – und den kennen heute oft schon kleine Kinder. Um ja alle (möglichen) Talente zu fördern, werden Kinder nicht selten von einem Termin zum anderen kutschiert.
Lassen Sie auch Langeweile zu – ihr Kind braucht lange Weile. Sie ist die eigentliche Quelle für neue Ideen und Kreativität, also eine wichtige Voraussetzung für die innere Entwicklung Ihres Kindes.
Sorgen Sie für regelmäßige Spiel- und Gesprächszeiten. So bekommt der Tag einen Rhythmus aus Bewegung, Spiel, Entspannung, Essen und Gesprächen.
Entspannungsrituale
„Willkommen auf der Ruhe-Insel“ – breiten Sie dazu eine Decke auf dem Boden aus – Ihre gemeinsame Insel. Legen Sie sich darauf, Kopf an Kopf, und stellen Sie sich den Himmel oder eine ruhige Landschaft vor. Erzählen Sie sich gegenseitig was sie in ihrer Fantasie sehen. Dunkeln Sie dabei das Zimmer leicht ab und schließen Sie die Augen.
Das Familienleben ritualisieren
„Bei uns war das immer so…“ – Überlegen Sie sich einmal, was Ihre Familie eigentlich ausmacht. Dazu gehören alltägliche Gewohnheiten genauso wie das Feiern von Festen, aber auch eigene Symbole wie die typische Familienbegrüßung.
• Der Wochenplan – hier wird von der gesamten Familie gemeinsam beschlossen, wie in der kommenden Woche die anfallenden Haushaltsarbeiten aufgeteilt werden.
Klassische Abendrituale
• Das lustige Schaumbad, eine anschließende Massage und abschließend noch die Gute-Nacht-Geschichte – alles schöne Rituale, die den Kindern helfen, den erlebten Tag aufzuarbeiten und auch gerne ins Bett zu gehen.
• Vielleicht malt Ihr Kind auch zum Abschluss des Tages ein Bild oder, wenn es schon älter ist, führt es sein eigenes Tagebuch.
• In jedem Fall sollten alle Tätigkeiten am Abend mit Muße ausgeführt werden, möglichst bei gedämpftem Licht, damit Kinder und Eltern ganz allmählich zur Ruhe kommen.
• Nehmen Sie sich ausreichend Zeit, Ihre Abendrituale gemeinsam mit Ihrem Kind zu gestalten. Das ausgiebige Kuscheln tut beiden sehr gut!
Die Gute- Nacht Geschichte
Das Vorlesen am Abend ist für die meisten Kinder ein Muss. Am eindrucksvollsten ist sie für die Kinder, wenn man sie frei erzählt.
Kinder lieben es auch, Geschichten über sich selbst zu hören: über ihre Baby- und Kleinkindzeit. Auch Erzählungen über die Kindheit der Eltern interessieren sie sehr. Solche Familienerinnerungen können ein geliebtes Abendritual werden.
Endlich Wochenende
• Das Wochenende ist für die Woche das, was der Urlaub fürs Jahr ist: die Zeit der Erholung und der Gegensatz zum Alltag. Deshalb ist es wichtig, das Wochenende wirklich „ganz anders“ zu leben und zu gestalten, damit auch die Bedürfnisse, die während der Woche zu kurz kommen, befriedigt werden.
• Sonntagsrituale, die Kinder lieben:
Die Kinder dürfen in der Früh ins Elternbett.
Zum Frühstück wird gemeinsam der Tisch besonders hübsch gedeckt. Es gibt etwas zu essen, was es im Alltag nicht gibt, vielleicht ein Frühstücksei oder frisches Gebäck von der Bäckerei…
Das Frühstück kann zum Brunch werden – dabei lässt sich der bevorstehende Tag besonders gut planen.
Am Abend könnte noch ein gemeinsames Spiel auf dem Programm stehen.
Verwöhnrituale für kranke und verletzte Kinder
Mit jeder Krankheit drückt ihr Kind immer auch sein Bedürfnis nach besonderer Zuwendung und viel Liebe aus – geben Sie Ihrem Kind diese Extra-Portion Liebe! Verwöhnen Sie es mit liebevollen Ritualen: vielleicht die gewünschte Mahlzeit im Bett essen oder eine Massage vor dem Einschlafen.
Es gibt auch Lieder, die bei Krankheiten besonders tröstlich sind, etwa dieses:
Heile, heile Segen!
Heile, heile, Segen! Sieben Tage Regen, sieben Tage Sonnenschein. Bald wird`s wieder besser sein.
Heile, heile Kätzchen! Kätzchen hat vier Tätzchen. Lege auf ein` saubern Stein und dann heilt es ganz allein.
Heile, heile, heile! Dauert noch `ne Weile, dauert noch bis Rosmarein, dann ist lauter Sonnenschein.
Wirksam ist auch das altbewährte Wegpusten von Schmerzen oder das Handauflegen – und drunter wird die Beule immer kleiner.
Verletzte Körperteile können Sie mit einem überdimensionalen Verband oder bunt bemalten Pflastern „verarzten“.
Vielleicht können Sie sich erinnern, was Ihre Eltern immer gemacht haben, wenn Sie krank waren. Wenn das schöne Erinnerungen sind, übernehmen Sie diese doch einfach auch für Ihre Kinder.
Mit Ritualen den Trauerprozess begleiten
• Besonders schwere Krisen durchleben Kinder, wenn ein ihnen nahe stehender Mensch stirbt. Natürlich ist der Verlust eines geliebten Menschen ein schwerer Schicksalsschlag, der Menschen aus der Bahn werfen kann. Allerdings sollte das Thema Tod weniger tabuisiert und verdrängt werden. Je offener Sie darüber reden und Ihre Trauer zeigen, desto eher wird auch Ihr Kind sich öffnen können.
• Trauer ist ein tiefes Gefühl: Tränen sind ein ganz natürlicher Ausdruck dafür und dürfen reichlich fließen.
• Geben Sie Ihrem Kind Gelegenheit, sich zu verabschieden, etwa bei der Beerdigung – wenn Ihr Kind reif genug ist dafür.
• Malen oder Handpuppen spielen kann Ihrem Kind helfen, seine Trauer auszudrücken.
• Behalten Sie die Regeln und Rituale des Alltags bei, den Ihr Kind braucht diese jetzt als wichtige Stützen, damit es erfährt, dass das Leben trotz eines schweren Verlustes weitergeht.
• Zeigen Sie Ihrem Kind, das Tod nicht gleichbedeutend mit Vergessen ist: Erinnern Sie sich gemeinsam, sehen Sie Fotos an, gehen Sie auf den Friedhof.
Ein Geschwisterchen kommt
Die Geburt eines Geschwisterkindes ist für ein Kind meist eine frohe Botschaft – aber nicht nur. Es wird für das Erstgeborene bzw. die Älteren auch eine sehr große und einschneidende Umstellung bedeuten.
Ihr Kind braucht gerade in dieser Zeit besonders viel Zuwendung – wie das Baby auch.
Bereiten Sie das größere Kind schon rechtzeitig auf die veränderte Situation vor und achten Sie darauf, dass es nicht zu kurz kommt.
Hilfreich kann es sein, wenn Sie es in die Babypflege und andere Aktivitäten mit einbinden. Lassen Sie es helfen, wenn es will: Wickeln, Füttern und Zubettbringen sind verantwortungsvolle Tätigkeiten, an denen sich das größere Geschwisterkind oft schon beteiligen kann. Und seine Puppe kann es bestimmt schon fast so gut versorgen wie Sie das Geschwisterchen.
Erzählen Sie dem älteren Kind, wie es war, als es selbst noch ein Baby war – zeigen Sie ihm seine Babyfotos und erklären sie ihm wie viel Aufmerksamkeit ein Neugeborenes braucht.
Lassen Sie Ihr „Großes“ aber auch manchmal einfach noch mal Ihr Baby sein!
Rituale für besondere Zeiten
Im Leben eines Kindes gibt es immer wieder Ausnahmesituationen, Besonderheiten oder Herausforderungen, denn es durchläuft in kurzer Zeit viele Entwicklungsphasen, die manchmal auch mit Krisen einhergehen können. Rituale helfen in solchen Phasen, weil sie dem Kind zeigen, dass lieb Gewonnenes erhalten bleibt. So kann es neue Schritte mutig meistern. Neben solch schwierigen Zeiten erleben Kinder oft auch besonders schöne: Die Jahreszeiten mit ihren feierlichen Höhepunkten wie Fasching, Ostern und Weihnachten – und natürlich ihren Geburtstag! Auch diese Feste werden erst durch Rituale zu unvergesslichen Ereignissen.