Am Anfang ist alles klar. Ein Baby kommt auf die Welt, bedarf unserer ganzen Liebe und Fürsorge. Mit seiner Ankunft stellt es unsere Welt auf den Kopf. Erziehung – dieser Gedanke ist noch weit weg. Und doch sollten wir uns überlegen wie wir das Leben mit dem neuen Erdenbürger gestalten möchten, welche Werte für uns als Eltern wichtig sind und wie wir unser Kind ins Leben hinein begleiten möchten.
Erziehung ist immer auch Auseinandersetzung mit sich selbst, was möchte ich vermitteln, was möchte ich anders machen, was möchte ich gar nicht machen, dazu braucht es aber auch ein ungefähres Konzept, über das ein Paar sich schon vor der Geburt Gedanken machen könnte.
Eltern Magazin sprach mit Vera Rosenauer, diplomierte Elternbildnerin, Trainerin, Mutter zweier Kinder über die wesentlichen Bausteine, die Kinder für ein selbstbestimmtes Leben brauchen
Warum ist der Übergang vom Paar zur Familie oft so schwierig?
Wenn ein Paar erfährt, dass ein Baby unterwegs ist, geht es meist neun Monate lang um Themen wie die Entwicklung des Babys, gesunde Ernährung, Schwangerenyoga und ganz zentral um Geburtsvorbereitung. Die vielen Jahre danach werden quasi ausgeblendet, das ist eine Erfahrung, die mir schon mehrere Hebammen bestätigt haben. Ganz selten gleichen Mann und Frau die Bilder, die jeder von einer glücklichen Familie hat, ab und reden darüber, wie sie sich das Zusammenleben zu dritt denn wirklich vorstellen und was sie dem Kind mit auf dem Weg ins Leben geben wollen. Wenn das Baby dann da ist, bleibt dazu dann keine Zeit!
Warum ist es wichtig, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen und sie zu reflektieren?
Gerade in Stresssituationen reagieren wir unbewusst so, wie wir es als Kinder erlebt haben. Stress saugt uns den Sauerstoff aus dem Gehirn, vermindert so die Denkfähigkeit und wirft uns geradezu auf frühkindliche Muster zurück.
Auch reicht es nicht aus zu sagen „Ich will es nicht so wie meine Eltern machen!“ – gerade dann muss ich mir aktiv Gedanken um Alternativen machen. Bestsellerautor John Gray sagt:“Um ein besserer Erzieher zu sein, genügt es nicht, Dinge zu unterlassen!“
Warum läuft Schwangerschaft und Geburt eines zweiten Kindes oft ganz anders ab als beim ersten Kind und was bedeutet das für die Mutter?
Eine erste Schwangerschaft hat für alle Beteiligten etwas Sensationelles – eine zweite läuft nebenbei. Für die Mutter bedeutet das, dass sie mit ihren Sorgen und Bedenken (Was wenn der Große grade aufs Klo will, wenn ich das Kleine stille?) eher alleine dasteht. Die Umgebung misst einer zweiten Schwangerschaft wenig Bedeutung zu – der Vater, der sich schon durch Windel wechseln und Kinderwagerl-Schieben als moderner Vater profiliert hat, kann beim zweiten Kind fast nur dazugewinnen und ist sich sicher, das wird schon irgendwie gehen.
Gleichzeitig erwacht in der Mutter das schlechte Gewissen – was tue ich meinem Großen da eigentlich an? Werde ich das Zweite genauso lieben können? Ich hab ja gar keine Zeit für Schwangerengymnastik, geschweige denn um mit dem Baby Zwiesprache halten zu können? Wird es Eifersucht geben?
Was bedeutet Erziehung? Was ist wichtig?
Erziehung bedeutet für mich, ein Kind als Berater ins Leben zu begleiten! Wichtig ist, sich selbst kennen zu lernen und für sich zu klären, was sind meine Werte, was will ich dem Kind mitgeben und vermitteln. Welches Vorbild gebe ich meinem Kind? Denn ein Kind orientiert sich mehr an unserem Handeln als an unseren Worten.
Wann hören Kinder zu?
Kinder hören Eltern zu, wenn Eltern Kindern zuhören!
In welchen Situationen können Eltern „Regeln“ am besten vermitteln?
In einer ruhigen Minute fern jedes Konflikts! Zuerst muss ich für mich abklären, wo habe ich feste unverrückbare Standpunkte und wo lasse ich mit mir diskutieren, gebe ich Kompetenz oder Entscheidungen ans Kind ab und dann erst bespreche ich mich mit dem Kind.
Wenn es zum Beispiel jeden Tag Theater ums Zähne putzen gibt: Die Eltern geben vor in der Früh und am Abend werden die Zähne geputzt, aber das Kind kann aussuchen, ob es vor oder nach dem Umziehen die Zähne putzt, die gelbe oder die grüne Zahnbürste nimmt, eine Geschichte während des Putzens hören will, ….
Hilfreich ist auch oft eine „Visualisierung“ – ein Wochenplan, in dem Fixpunkte eingetragen sind, ein Plakat mit Essensregeln – und natürlich immer wieder das Vorbild der Eltern! Wichtig – Familienregeln gelten nicht nur für Kinder, sondern auch für Eltern …
Welche Situationen sind für eine Klärung gar nicht geeignet?
Hochemotionale Konfliktsituationen! Sich mit jemanden „aus-einander-zu-setzen“ muss man manchmal kurzfristig wörtlich nehmen, gönnen Sie sich ein paar Minuten Abkühlung und dann erst reden.
Warum sind gerade die ersten Lebensjahre eines Kindes wesentlich?
In den ersten Jahren wird das Selbst- aber auch das Weltbild eines Menschen geprägt – ob das Glas halb voll oder halb leer ist. In den ersten Lebensjahren lernt das Kind auch, ob es eine grundsätzliche Existenzberechtigung fern von jeder Leistung hat – darauf baut ein gesunder Selbstwert auf und lässt Rückschläge im Leben leichter verkraften.
Welche Lebenskompetenzen werden in den ersten Jahren erlernt, warum ist das wichtig?
Wesentlich ist ein gesunder Selbstwert, aber auch Konfliktfähigkeit, Selbstständigkeit, der Umgang mit den eigenen, zum Teil oft recht heftigen Gefühlen, Frustrationstoleranz, Genussfähigkeit und „ICH“-Stärke. Natürlich sind wir als Menschen ein Leben lang lernfähig und veränderbar, das Fundament aber wird in den ersten Lebensjahren gebaut.
Warum beginnt zeitgemäße Suchtvorbeugung schon beim Neugeborenen?
Schon ganz kleine Babys bekommen mit: „Aha, also da gibt es so weiße Stangerl, die haben die meisten Leute zwischen den Fingern, die müssen also ziemlich wichtig sind und aha, so riecht die Welt!“ Was jetzt nicht heißt, dass Kinder rauchender Eltern automatisch selber Raucher werden – aber es prägt definitiv ihr Bild von der Welt und der Normalität.
Die beste Suchtvorbereitung ist die frühzeitige Vermittlung von Lebenskompetenzen!
Welche Themen liegen Eltern ganz besonders am Herzen? Welche Werte möchten Eltern heutzutage ihren Kindern fürs Leben mitgeben?
Ganz stark gefragt ist das Thema Selbstständigkeit. Nicht immer einfach, denn wenn es mein Ziel ist, einen selbstständigen, kritisch denkenden Menschen ins Leben zu begleiten, bin ich natürlich auch der Reibebaum, an dem der kleine Mensch fürs Leben „übt“ …
Wie können Eltern ihr Kind ermutigen und stärken, auch Schwierigkeiten zu meistern und „gut“ aus unangenehmen Situationen herauszukommen?
Eine der schwierigsten Aufgaben für Eltern ist es auszuhalten, wenn ein Kind sich selbst in Schwierigkeiten bringt. Wenn ich jedoch guten Gewissens abschätzen kann, dass in dieser Situation keine Gefahr für Leib und Leben besteht und auch voraussichtlich nichts irreparabel beschädigt wird, dann kann ich das Kind diese unangenehme Erfahrung machen lassen. Natürlich kann ich das Kind trösten oder wenn es mich um Rat fragt antworten – aber wenn das Kleinkind versucht den riesigen Teddy in einen minikleinen Rucksack zu stopfen, widerstehen Sie der Versuchung eine Lösung auf dem Silbertablett zu servieren!
Warum ist es wichtig, auch ein „eigenes Leben“ (als Paar aber auch als Individuum) zu bewahren?
Wir alle haben verschiedenste Rollen im Leben – wir sind Individuum, PartnerIn und Mutter/Vater. Wenn eine dieser Rollen dauerhaft zu kurz kommt, entsteht Unzufriedenheit, die sich bald auf mehrere Lebensbereiche auswirkt.
Den Alltag mit Kindern zu managen ist – so positiv er auch meist ist! – harte Arbeit und es ist wichtig, sich etwas Abstand und Erholung zu gönnen, um Kraft zu tanken.