Was bei uns heutzutage die Ausnahme darstellt, ist in Afrika tägliche Normalität: Geburten finden fernab von medizinischen Einrichtungen zu Hause statt. In manchen Teilen Afrikas muss es unbedingt in der geschlossenen Familienhütte sein, damit böse Geister so gut wie möglich draußen gehalten werden. Gleichzeitig glaubt man, dass die guten Geister der Vorfahren nur in der Hütte der Großmutter zugegen sind. Aus diesem Grund bringen junge Mütter ihre Kinder oft dort zur Welt. Doch der afrikanische Kontinent ist groß, und so findet man die unterschiedlichsten Bräuche rund um Schwangerschaft und Geburt. Mancherorts gehen junge Mütter allein in den Busch, wenn die Geburt beginnt, und bringen ihr Kind ohne jegliche fremde Hilfe zur Welt.
Die Schwangerschaft
Im Verlauf der Schwangerschaft kennen die Menschen in Afrika viele verschiedene Deutungen, was das Geschlecht des ungeborenen Kindes betrifft. Bei den Zulu im südlichen Afrika heißt es beispielsweise, dass eine Frau einen Jungen gebären wird, wenn eine grüne oder schwarze Schlange im Haus auftaucht. Erscheint eine Puffotter, wird sie ein Mädchen bekommen. Während der Schwangerschaft tragen afrikanische Frauen ihr Haar generell offen, wohl eine Art Symbol, dass sich durch die bevorstehende Geburt ein Knoten – das Band zwischen Mutter und Kind – lösen wird. Die Zulu haben folgende wirkungsvolle Atemübung entwickelt, um die Verbindung zum ungeborenen Kind zu intensivieren: Es wird dreimal hintereinander sehr tief eingeatmet, bis die Lungenflügel komplett mit Luft gefüllt sind. Dann wird ganz langsam wieder ausgeatmet. Wichtig dabei ist, jegliche negative Gedanken zusammen mit der ausströmenden Atemluft aus dem Körper zu schwemmen, um gleichzeitig die Kraft des eigenen Körpers zu spüren. Im Falle, dass von Sex aus welchen Gründen auch immer abgeraten wird, meiden afrikanische Frauen gegen Ende der Schwangerschaft proteinreiche Nahrungsmittel wie Fleisch, Milch und Eier. Diesen Speisen wird nachgesagt, das Blut zu erhitzen und großes Verlangen bei der Frau hervor zu rufen.
Die Geburt
Zulu-Frauen dekorieren den Platz, an dem die Geburt stattfinden soll, mit Perlen, Holzschnitzereien und anderen schönen Gegenständen. Das Baby soll unmittelbar nach der Geburt nur mit positiven Dingen in Berührung kommen. Bei den Basuto in Lesotho herrscht der ungewöhnliche Brauch, dass das erste Kind automatisch den Großeltern mütterlicherseits gehört. Es kommt auch in der Hütte der Großeltern zu Welt. Findet die Geburt im Freien statt, ist Wasser eine große Hilfe zur Geburtserleichterung. Viele Frauen neigen instinktiv dazu, ihr Kind im schwerelosen Zustand zur Welt zu bringen. In Afrika hocken Gebärende oft während der Wehen über dampfenden Felsen, um den Damm geschmeidig zu machen, der während der Geburt extremer Dehnung ausgesetzt ist. Beliebt ist auch der Geburtsstuhl, auf dem die Frau sitzt, denn die Schwerkraft hilft dabei, den Vorgang zu beschleunigen. In Teilen Afrikas spielt dennoch die Hebamme eine zentrale Rolle. Bei den Efé im Kongo begleiten zwei Helferinnen die Gebärende zum Fluss und unterstützen sie mit Gesängen und körperlichem Beistand während diese am Ufer hockt. In vielen afrikanischen Kulturen gelten die Hebammen als weise Frauen. Nachdem sie einer Geburt beigewohnt haben, erhalten sie den Titel einer „Großmutter“. Die Dinka im Sudan bezeichnen die Hebamme als geem, die Empfängerin des Gottesgeschenks. Als spirituelle Mutter des Neugeborenen genießt sie die lebenslange Liebe und Achtung des Kindes. Bei anderen Stämmen verläuft die Geburt ganz ohne Helferinnen. Nisa, eine Nomadenfrau aus Afrika vom Stamm der Kung, erzählt in einem Buch davon, wie sie die Geburten ihrer Kinder erlebt hat: Für die dort lebenden Frauen gilt es als ideal, das Kind allein und ohne fremde Hilfe auf die Welt zu bringen. Zu Beginn der Wehen ziehen sie sich meist allein in die Abgeschiedenheit der Natur zurück, hocken sich auf den Boden und warten so lange, bis das Kind geboren wird. Frauen, die Furcht zeigen und während der schmerzhaften Wehen schreien oder stöhnen, gelten als nicht stark genug und werden von anderen Frauen für ihre Schwäche verlacht. Trotzdem haben viele der oft sehr jungen Erstgebärenden Angst vor dem, was sie bei der Geburt erwartet, und holen sich als Beistand die eigene Mutter oder andere enge weibliche Verwandte. Man glaubt auch, dass eine Geburt dann unproblematisch verläuft, wenn die Mutter das Kind voll akzeptiert. Komplikationen sind für das Volk der Kung meist ein Zeichen, dass die Frau das Baby ablehnt. Bei einem solch schwierigen Geburtsverlauf ist auch der Vater zur Stelle, der normalerweise der Geburt fern bleibt. Er bindet eine Medizinschnur um die Brust der Frau, um die Niederkunft zu beschleunigen. (Aus: Nisa erzählt; das Leben einer Nomadenfrau in Afrika von Marjorie Shostak) Wenn die Geburt zu lange dauert, werden nicht selten böse Geister verantwortlich gemacht. So kommt es beim Stamm der Ga in Afrika schon mal vor, dass die werdende Mutter kräftig mit einem Besen von den Hebammen bearbeitet wird, um die anwesenden schädlichen Einflüsse zu vertreiben.
Die Rolle des Vaters
Bei den Zulu übernimmt der Vater im Fall einer komplizierten Geburt eine besondere Rolle: völlig nackt bringt er seiner leidenden Frau eine bestimmte Medizin aus Kräutern die er in seinem Penisschurz hält. Ein besonders intensiv gelebter Brauch, der unter anderem in Teilen Afrikas gepflogen wird, ist die Couvade. Der Mann legt sich zu Beginn der Geburt ins Bett und fastet. Wenn die Wehen bei seiner Frau einsetzen und sie zu stöhnen beginnt, tut er es ihr gleich, um seine Anteilnahme an ihren Schmerzen auszudrücken.
Die Nachgeburt
In Afrika wird die Nachgeburt auf zweierlei Arten vorangetrieben: die Mutter muss kräftig in einen Flaschenkürbis blasen und wird außerdem mit Pfeffer zum Niesen gereizt. Wie in vielen anderen primitiven Kulturen ist man davon überzeugt, dass die Plazenta nicht nur ein unansehnliches Anhängsel des Neugeborenen ist, sondern eine wichtige Rolle in der Zukunft des Kindes spielt. Daher wird die Nabelschnur vorsichtig mit Schilf durchtrennt und später gemeinsam mit der Plazenta an einem Ort begraben, den nur die Mutter kennt, der aber als das spirituelle Zuhause des kleinen Erdenbürgers gilt.
Die Ernährung des Babys
Stillen ist bekanntlich die wichtigste Ernährung für den kleinen Säugling. Wissen, über das manche Völker oft instinktiv verfügen. Besonders die Vormilch, die ersten Tropfen aus der Mutterbrust bevor die richtige Milch zu fließen beginnt, ist Gold wert. Die Gusii in Kenia wissen, dass diese ersten Tropfen das „Kind dick machen“ und stillen daher ihre Kinder ab dem ersten Tag der Geburt. Andere Stämme im südlichen Afrika allerdings erahnen nicht den Wert der Vormilch und stillen den Durst ihrer Kinder mit wässrigem Haferschleim, was keine optimale Säuglingsnahrung ist. Dafür kennen stillende Afrikanerinnen die beste Methode, um Stillprobleme zu umgehen, die allerdings in unserer Gesellschaft kaum durchführbar ist: die Kinder hängen Tag und Nacht als „Dauernuckler“ an der Brust, was Angebot und Nachfrage der Milch ganz natürlich regelt.