Kinder aus getrennten Familien
Wenn sich Eltern trennen bedeutet das für das Kind immer auch eine große Krise. Kinder geben sich meist die Schuld am Scheitern der Beziehung und fühlen sich verantwortlich für das was zwischen den Eltern passiert.
Und während die Eltern in ihrem eigenen Scheidungsschmerz gefangen sind, vergessen sie auf ihre Kinder. Die gute Nachricht ist aber, dass Kinder die Trennung der Eltern durchaus verkraften können, wenn man entscheidende Punkte beachtet und das Wohl der Kinder in den Vordergrund rückt.
Baby Guide sprach mit Karin Lamprecht, Sozialberaterin und Kunsttherapeutin über Scheidung und die Folgen für die Kinder.
Was bedeutet Scheidung für ein Kind?
Generell lässt sich sagen, dass für nahezu alle Kinder die Scheidung bzw. Trennung der Eltern eine Krise darstellt. Kinder verlieren ihr vertrautes Familiensystem, zeitweise die zumindest zweitliebste Bezugsperson, manchmal steht ein Umzug an und beide Eltern sind mit ihrer Aufmerksamkeit überall, nur nicht beim Kind. Dies ist auch gar nicht zu verurteilen, wie sollten sie auch, sie befinden sich ja selbst in einer Ausnahmesituation. Wie ein Kind auf eine Scheidung reagiert hängt sehr stark auch vom Alter, vom Entwicklungsstand, von der Beziehung zwischen den Eltern und der Eltern – Kind Beziehung ab.
Es gibt jedoch auch Situationen, wo die Trennung der Eltern eine Erleichterung für die Kinder darstellt. Dann nämlich, wenn die Ehe voller Spannungen und Konflikten war oder Gewalt, Sucht und Abwertung an der Tagesordnung standen.
Zusammengefasst könnte man sagen, die Scheidung bedeutet zumeist eine Übergangskrise, die jedoch für gesunde Kinder mit bedachten Eltern nicht unbewältigbar ist.
Mit welchen Problemen kämpfen Kinder?
Sowohl ältere als auch jüngere Kinder quälen Schuldgefühle. Jüngere können sich gar nicht vorstellen, dass es etwas geben kann, an dem sie keinen Beitrag haben. Ältere hören, dass sich elterlicher Streit oft um Erziehungsthemen dreht. Dadurch entwickeln sie das Gefühl, am Streit Schuld zu sein. So machen sie sich oft Sorgen, ob sie vielleicht zu frech, unfolgsam, nicht brav genug, zu schlechte Noten in der Schule gebracht haben,…, und der Papa darum gegangen ist.
In der Zeit der Trennung macht sich zumeist große Unsicherheit breit, Kinder wissen oft nicht, was nun aus ihnen wird, ob Mama und Papa sie nun auch noch lieb haben oder nicht, wo sie nun wohnen, wer sich fortan um sie kümmert, ob sie den Papa überhaupt wieder sehen werden …. .
Die Folge ist oft Unkonzentriertheit in der Schule, daher ist es sehr wichtig, auch den Lehrern von der Trennung zu berichten. Wenn hier keine Rücksicht genommen wird, könnte das Kind in eine noch tiefere Krise kommen, da es nun in der Schule „versagt“, schlechte Noten schreibt und allerlei vergisst. Kinder machen, in der Zeit der Trennung, oft Entwicklungsrückschritte – z.B. nächtliches Einnässen, starke Anhänglichkeit, … .
Scheidung ist immer auch eine Krise und es ist wichtig, dass das Kind auf die Krise reagiert. Keine Reaktionen nach einer Trennung zu zeigen, wäre falsch. So entsteht Verdrängung. Die Trauer wird negiert. Aber nur ein ausgedrückter Schmerz kann auch verarbeitet werden.
Ist die Belastung der Kinder aus Scheidungsfamilien nicht bereits im Vorfeld der Trennung sehr hoch?
Die innerfamiliäre Belastung ist tatsächlich für alle Mitglieder sehr hoch, wenn Konflikte und Spannungen an der Tagesordnung stehen. Für Kinder bedeutet elterlicher Streit puren Stress und große Angst.
Auch wenn Eltern stets traurig oder unglücklich sind, ist das für Kinder alles andere als förderlich. Wir sind für unsere Kinder Vorbild, von uns sollen sie lernen, Beziehung zu leben. Wir sind es ihnen und auch uns selbst schuldig eine befriedigende Beziehung zu leben.
Vor Kindern kann man das eigene Unglück nicht verbergen, auch wenn das viele Eltern jahrelang versuchen. Unsere Kinder haben ganz feine Antennen und bekommen alle Stimmungen mit.
Was können Eltern tun, um Kindern die Situation zu erleichtern?
Eltern können ihren Kindern die Zeit der Trennung und danach erleichtern, indem sie externe Hilfe für sie in Anspruch nehmen z.B. Gruppen für Kinder mit getrennten Eltern, oder auch Begleitung durch eine Beraterin/einen Berater oder einen/eine Therapeut/in.
Ein weiterer sehr wichtiger Punkt ist Ehrlichkeit und Transparenz. Kinder wollen wissen was geschieht, was sich verändern wird und was als Nächstes auf sie zukommt. Sie brauchen viel Zuwendung und Körperkontakt. Eltern sollen sich Zeit nehmen für Gespräche und eventuell immer und immer wieder geduldig die gleichen Fragen beantworten.
Kinder dürfen Gefühle wie Traurigkeit, Regression, Wut etc. zulassen. Sie brauchen die Versicherung, dass sie nicht die Schuld an der Scheidung tragen, dass sie Mama und Papa weiterhin lieben werden, dass sich an dieser Liebe nichts verändert hat, auch wenn die Beziehung der Erwachsenen zerbrochen ist. Vater und Mutter ist man ein Leben lang, davon kann man sich auch nicht scheiden. Es ist auch sehr wichtig, dass das Kind beide Elternteile weiterhin lieben darf. Das heißt, dass Eltern nicht versuchen, das Kind auf die eigene Seite zu ziehen, sich verbünden gegen den anderen Elternteil oder diesen sogar niedermachen. Kinder sind ein Teil Mutter, ein Teil Vater und ein Teil nur sie selbst. Macht man den ehemaligen Partner schlecht, so macht man auch einen Teil des Kindes schlecht.
Keinesfalls sollten Kinder nach der Trennung als Partnerersatz dienen.
Den Kindern ganz klar sagen, wann sie den ausgezogenen Elternteil wieder sehen dürfen. Bei kleineren Kindern ist es hilfreich einen Kalender zu gestalten, wo die Nächte eingetragen werden, die es noch warten muss. Kleine Kinder haben noch wenig Zeitbegriff, sie wissen nicht wie lange 14 Tage sind.
Die Trennungsphase wird von Kindern als schwierigste Phase erlebt.
Wie wichtig ist es, dass Eltern danach aber zu einem Konsens kommen, der für alle Beteiligten positiv bewertet werden kann?
Dies ist natürlich wünschenswert und wäre gut für eine positive Verarbeitung der Scheidung und eine gute Grundlage für die veränderte Familiensituation.
Einige Punkte können Eltern beachten um zu einem positiven Konsens in Bezug auf das Kind zu kommen:
- Klare Regelung der Besuchszeiten, die für alle Beteiligten befriedigend sind.
- Verzicht auf Machtspiele und Rachegelüste durch bewusstes Entziehen bzw. Beeinflussen der Kinder.
- Keine Abwertungen des anderen Elternteils vor den Kindern.
- Genaues Einhalten der vereinbarten Regelungen, z.B. rechtzeitige Übergabe, u.ä. Miteinbeziehen des getrennt lebenden Elternteils in wichtige Entscheidungen die das Kind betreffen..
Zumindest zeitweise Übernahme von Alltagsverantwortung des getrennt lebenden Elternteils, z.B. Arzttermin wahrnehmen, Hausübungen erledigen, Elternabende besuchen usw.
Mit welchen negativen Auswirkungen haben Kinder nach der Scheidung zu kämpfen?
- Die Trauer, das gewohnte Familienleben verloren zu haben
- Die Traurigkeit darüber, dass Kinder nun entweder Mama oder Papa sehen können, aber kaum mehr beide zusammen.
- Die Hoffnung auf eine Wiedervereinigung der Eltern endgültig aufzugeben.
- Eventuelle Ortswechsel, Schulwechsel, verändertes Sozialgefüge (Eltern sollten, wenn irgendwie möglich, zu viele andere Veränderungen im Leben des Kindes vermeiden)
- Die neue Wohnung des getrennt lebenden Elternteils, die noch ganz und gar fremd ist.
- Eventuell ein neuer Partner der Mutter oder des Vaters
- Das Gefühl ein Außenseiter zu sein, bedingt durch die neue Familiensituation (daher sind Kindergruppen aus getrennten Familien so hilfreich)
- Loyalitätskonflikte, besonders wenn ein Elternteil den andern abwertet
- Familienfeiern die nun neu überdacht werden müssen
- Eventueller Wegfall von Verwandten oder Bekannten – z.B. Großeltern väterlicherseits … .
- Schuldgefühl dem Elternteil gegenüber, bei dem das Kind gerade nicht zugegen ist. – Es kann auch das Gefühl entwickeln, sich nicht freuen zu dürfen über Unternehmungen, wenn der andere Elternteil zu Hause alleine ist.
Was ist nach der Trennung zu beachten?
- In der Zeit nach der Scheidung möglichst wenig andere Veränderungen dem Kind zumuten
- Eine einigermaßen konfliktfreie Gesprächsbasis zwischen den ehemaligen Partnern, speziell wenn es um die Kinder geht
- Dem Kind versichern, dass es auch Spaß haben darf, wenn der andere Elternteil nicht dabei ist
- Wieder freudige und lustige Unternehmungen mit dem Kind machen
- Die neue Wohnung des getrennt lebenden Elternteils auch mit dem Kind gemütlich einrichten, eventuell Spielzeug oder Lieblingssachen hinbringen, sodass sich das Kind dort auch wohl fühlt.
- Familienfeiern mit dem Kind organisieren und auch seine Wünsche respektieren
Wie oft müssen Kinder vor Gericht und was kann man tun, um Ihnen das zu erleichtern?
Wie oft Kinder wirklich vor Gericht müssen ist sehr unterschiedlich. Manche Familien schaffen es sogar, dass das Kind gar nicht vor Gericht muss.
Um den Kindern den Gang zu Gericht zu erleichtern, bzw. dass sie gar nicht vor Gericht müssen, dafür gibt es neuerdings Kinderbeistände. Diese fungieren als Sprachrohr der Kinder vor Gericht, geben dem Kind aber auch die Möglichkeit über alle seine Gefühle zu sprechen. Diese speziell ausgebildete Person ist Ansprechpartner für alle Belange der Kinder. Hier können Kinder alle ihre Sorgen, Gefühle, Ängste und Wünsche ansprechen. Der Kinderbeistand unterliegt der Schweigepflicht und spricht vor Gericht nur über Dinge, die mit dem Kind klar abgeklärt sind – d.h. vertritt nur die Interessen des Kindes.
Weitere Infos zur Tätigkeit der Kinderbeistände finden sie auf: www.jba.gv.at
Buchtipps:
Christoph Strecker
Versöhnliche Scheidung
Recht und Rat für eine Trennung ohne Streit
Beltz Taschenbuch
E.Mavis Hetherington/John Kelly
Scheidung. Die Perspektiven der Kinder
Beltz Taschenbuch
Christine Haaser
Trennung und Scheidung
Professioneller Rat von der Familienanwälting
Südwest