Auf den Anfang kommt es an: Unsere Kleinen lernen fair streiten
Streit zwischen Kindern ist etwas völlig Normales, trotzdem fragen wir uns als Erwachsene manchmal, ab wann wir wie eingreifen sollen. Weil wir verhindern wollen, dass sich immer dasselbe Kind durchsetzt oder es zu Verletzungen kommt, sprechen wir ein „Machtwort“. Dadurch nehmen wir unseren Jüngsten aber ein wichtiges Lernfeld auf ihrem Weg zu sozialer Kompetenz.
Kinder brauchen keine Richter, die ihren Streit entscheiden, sondern Instrumente und Regeln, wie sie Streit vermeiden und fair streiten lernen können. Dazu brauchen sie uns Eltern und Erzieher. Marion Wallner ist eingetragene Mediatorin (für Konflikte in Familie, Wirtschaft, Nachbarschaft), Konfliktcoach und betreut Konflikttrainingsprojekte an Schulen. Sie ist Mutter von zwei Kindern im Kindergartenalter
Was heißt „fair streiten“?
Fair streitet, wer den aktuellen Konflikt konstruktiv zu bewältigen versucht, sodass beide Streitparteien mit der Lösung zufrieden sind:
sagen, was man will, Wünsche äußern, selbstbewusst auftreten
zuhören, ausreden lassen, keine verbalen oder körperlichen Verletzungen, von sich reden
Gefühle äußern und sich vom anderen anhören, sich in den anderen hineinversetzen
die Interessen und Bedürfnisse des anderen als ebenso gleichrangig neben den eigenen existieren lassen
gemeinsam nach Lösungen suchen und dann auch einhalten
sich versöhnen, verzeihen können
Diesen Leitfaden können alle Erwachsenen, denen Kindern anvertraut sind, verwenden.
Was müssen Sie beachten?
Selbstbewusstsein stärken
Besonders jüngere, schüchterne bzw. Kinder ohne Initiative müssen erst in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt werden, um Wünsche und die eigene Meinung zu äußern. Sie brauchen von Erwachsenen hie und da Sätze wie: „Ich freu’ mich, wenn du sagst, was du willst!“ oder „Mir ist wichtig, dass du sagst, was du denkst.“
Zuhören lernen, ausreden lassen, zusammenfassen
Sorgen Sie dafür, dass die Kinder einander ausreden lassen, einander nicht beschimpfen, beleidigen und verletzen. Fassen Sie zusammen, was Sie von dem einen und dem anderen Kind verstanden haben oder lassen Sie die Kinder abwechselnd zusammenfassen, was der andere gesagt hat. So kontrollieren Sie, ob sie einander wirklich aufmerksam zugehört und verstanden haben. Fordern Sie Ihre Kinder auf, von sich zu sprechen anstatt anzuklagen, der andere sei schuld und müsse sich ändern. Fragen Sie: „Was brauchst du?“ „Rede von dir, was wünschst du dir?“
Gefühle ausdrücken
Wenn das Kind noch verärgert oder traurig ist, gehen Sie darauf ein, zB.: „Benedikt, ich sehe, dass du dich sehr ärgerst, weil du nicht bekommen hast, was du wolltest. Stimmt das? Du wolltest die Schokolade essen und jetzt hat Jan das letzte Stück im Mund!“ Benedikt: „Er muss mir doch auch was geben, wir haben doch gesagt wir teilen die Schokolade, und jetzt hat er sie ganz alleine aufgegessen!“ Mutter: „Ich glaub’ ich wäre auch verärgert, wenn ich gar nichts davon bekommen hätte, obwohl das so ausgemacht war. Jan wie siehst du das?“ Anschließend geht die Mutter mit dem gleichen Verständnis auf ihren zweiten Sohn ein. Gelingt ihr das, können sich auch die Brüder wechselseitig in einander einfühlen. Den anderen verstehen heißt noch lange nicht, einverstanden zu sein. Ist die negative Emotion heraus, können beide wieder gemeinsam an Lösungen und an Versöhnung denken.
Klären Sie die Bedürfnisse
Fragen Sie als Mutter/Vater beide Kinder nacheinander, was ihnen an ihrem Vorschlag so wichtig ist. Versuchen Sie, jedes Kind in seinem Bedürfnis zu verstehen, und zeigen Sie ihm das auch, indem Sie das Bedürfnis wiederholen und sich vergewissern, dass es genau darum geht. Die Kinder spüren so, dass die Bedürfnisse beider Seiten ihre Wichtigkeit haben, auch wenn ein Kind älter ist als das andere, oder das eine Ihr Kind ist und das andere das Nachbarskind. Die Kinder merken, dass der Vater/die Mutter nicht nur eine Seite im Blick hat.
Lösungen suchen
Fragen Sie Ihre Kinder, was sie sich nun als mögliche Lösungen vorstellen können. Machen Sie nur dann eigene Vorschläge, wenn ihre Kinder noch sehr klein sind oder anstehen. Die Kinder haben die Letztentscheidung. Vereinbarungen einhalten Erzielen die Kinder Vereinbarungen, brauchen sie manchmal noch die Eltern bzw. Erzieherinnen, die ihnen bei der Umsetzung helfen. Je genauer die Regeln durchdacht sind, umso weniger Unterstützung wird notwendig sein.
Sich versöhnen, einander verzeihen
Fragen Sie, ob alles wieder in Ordnung ist und ob sie einander als Zeichen der Versöhnung die Hand reichen möchten, ein kleines Geschenk geben oder ein Spiel spielen wollen.
Um mit einer Verletzung des anderen fertig zu werden und den Streit abschließen zu können, hilft uns eine Geste der Versöhnung. Kinder erfahren auf diese Weise, dass Konflikte nichts Schlimmes sind, weil es Versöhnung gibt.
Kinder brauchen immer seltener Vermittlung und lernen selbst zu vermitteln Mit der Zeit benötigen die Kinder immer seltener eine Vermittlung und wenden die Spielregeln im Konflikt von selbst an. Die anfängliche Anstrengung lohnt sich, Sie werden es sehen!
Darüberhinaus lernen Ihre Kinder von Ihrem Verhalten sehr schnell, wie hilfreich es ist, wenn jemand in verfahrenen Situationen Unterstützung anbietet. Dass Kinder die Grundprinzipien der Mediation bereits in Kindergärten und Schulen lernen, wird sich in Zukunft vorteilhaft für die Gesellschaft auswirken.
Auf den Anfang kommt es an: soziale Frühforderung als Bildungsauftrag Erziehung zu sozial kompetenten Menschen beginnt nicht erst in der Sekundarstufe, sondern zu Hause und im Kindergarten, wo Lernen insbesondere soziales Lernen bedeutet. Es gibt immer mehr Kindergärten, die sich darum bemühen, unsere Kinder früh zu befähigen, Konflikte selber zu klären.
Die Konfliktlösungshöhle im Kindergarten (Erfinderin Rita Stadelmann, Schweiz)
Die Kinder werden einige Wochen lang vorbereitet, lernen die Regeln kennen und üben sie vorerst mit den Kindergärtnerinnen:
Die wichtigsten Regeln lauten:
einander zuhören, nicht dreinreden
keine Beleidigungen, keine Beschimpfungen
von sich erzählen
Dabei werden Symbole, ein Sprechstein und optische Hilfen eingeführt. Das Kind, das den Sprechstein hält, redet, die anderen hören zu. Wenn das Kind den Stein ablegt, darf ihn ein anderes Kind nehmen und redet nun. Gleichzeitig werden auch Gefühle angesprochen, weil es das Verstehen ermöglicht, die Selbstwahrnehmung sensibilisiert und Empathie fördert. Dazu benutzen die Kinder eine aus Karton gebastelte Wetterscheibe: Sonne bedeutet: mir geht’s gut, Wolke: ich bin traurig, Mond: ich bin noch müde bzw. ich weiß nicht so recht.
In der Vorbereitungsphase üben die Kindergärtnerinnen mit den Kindern den Umgang mit diesen Hilfsmitteln. Wenn ein Kind kommt und sich beklagt, der andere hätte ihm den Lego-Turm zerstört, werden die betroffenen Kinder aufgefordert, mithilfe des Sprechsteines darüber zu sprechen. Sie verwenden ihre Wetterscheibe, um zu erzählen, was sie gerade fühlen und versuchen anschließend herauszufinden, welche Bedürfnisse hinter der Verletztheit oder der geäußerten Haltung stecken. Mit der Klangkugel dürfen die Kinder die Lösungssuche einleiten. Gesucht werden immer mehrere Ideen. Das macht den Kindern Spaß, sie können kreativ und stolz auf ihre Einfälle sein. Wenn sie schließlich eine Idee haben, die sie zur Vereinbarung für die Zukunft machen wollen, umfassen sie gemeinsam die Klangkugel und sagen: „Ich bin einverstanden.“
Während die Kinder anfangs noch die mediative Unterstützung der Kinderbetreuerin brauchen, können sie bald dieses Ritual alleine durchführen. Nach einer Weile brauchen die Kinder die Höhle gar nicht mehr so häufig, weil sie die Gesprächsregeln sofort in der jeweiligen Situation anwenden können. Dadurch werden die Kinderbetreuerinnen sehr entlastet, sie müssen nicht mehr so häufig schlichten. Die Kinder lernen Sozialkompetenz für ihr weiteres Leben.