Mit mehreren Kulturen aufzuwachsen, gehört heute zum Leben dazu. Ob in Familien, Kindergärten oder Schulen, überall treffen Nationalitäten und verschiedene Sprachkulturen aufeinander. Von diesem Erfahrungsschatz profitieren schon die Kleinsten.
Gerade im Kleinkindalter lassen sich mehrere Sprachen leichter lernen und anwenden.
Baby Guide sprach mit Dipl. Päd. Silvia Mayerhofer, seit 11 Jahren als Lehrerin an der GTVS Rosa-Jochmann im 11. Bezirk tätig über Sprachschatz und bilinguale Förderungen.
Welche Vorteile haben Kinder, die schon in jungen Jahren mehrsprachig aufwachsen?
Bi- und Multilinguale Kinder haben meistens Vorteile beim Erlernen weiterer Sprachen zu einem späteren Zeitpunkt. Kinder, die mit mehreren Sprachen groß werden, bekommen ein Gefühl für Sprachstrukturen und können Informationen von einer Sprache auf die andere übertragen. Sie können ihre Aufmerksamkeit besser fokussieren und flexibler zwischen Aufgaben switchen. Ein weiterer Punkt, der für Mehrsprachigkeit spricht, ist die Tatsache, dass diese Kinder bei der Berufswahl durch das Beherrschen mehrerer Sprachen im eindeutigen Vorteil gegenüber anderen Bewerbern stehen.
Wie wird das Sprachbewusstsein beim Erwerb mehrerer Sprachen gefördert?
Mehrsprachigkeit fördert die Persönlichkeitsbildung des Individuums, den interkulturellen Dialog und trägt zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts bei. Das Sprachbewusstsein wird dahingehend gefördert, dass das Kind Einblick in die Werte und Normen anderer Kulturen erlangt und somit in der Lage ist, durch das Beherrschen mehrerer Sprachen als Teil der jeweiligen Gesellschaft angesehen zu werden.
Wie werden verschiedene Sprachen bei Kindern bis zum dritten Lebensjahr abgespeichert?
Die Sprachrezeption beginnt bereits im Mutterleib. Die wahrgenommene Satzmelodie und die gehörten Phoneme werden bereits in den ersten Tagen nach der Geburt genutzt, um sich auf die Sprachproduktion in der Muttersprache einzustellen. Babys können nach der Geburt zwischen der Muttersprache und anderen Sprachen unterscheiden. Werden in der Schwangerschaft regelmäßig zwei oder mehrere Sprachen gesprochen, hat das Neugeborene in den ersten Tagen die Fähigkeit diese Sprachen zu unterscheiden. Babys verfügen über eine angeborene natürliche Fähigkeit, zwischen Sprachen zu unterscheiden. Diese Fähigkeit hilft ihnen beim Erlernen, Verstehen und Sprechen einer Sprache. Die Grundlagen für Mehrsprachigkeit sind vorhanden und müssen nur genutzt werden. Babys haben auch die Fähigkeit anhand von Mimik und Gestik zwischen der Muttersprache und anderen Sprachen zu unterscheiden. Diese Fähigkeit verschwindet mit ca. acht Monaten.
Ein großer Teil der Sprachverarbeitung erfolgt über die linke Gehirnhälfte. Die Rezeption von mehreren Sprachen gleichzeitig in frühen Jahren geschieht über ein Netzwerk im Gehirn. Kommen in späteren Jahren weitere Sprachen hinzu, so wird für jede neue Sprache ein weiteres Areal aktiviert. Die Abspeicherung in separaten Bereichen stellt eine kognitive Herausforderung bei der Reproduktion der Sprache dar. Im Gegensatz zu den in frühen Jahren gelernten Sprachen ist die neue Sprache nicht automatisiert. Dieser Umstand spricht für Mehrsprachigkeit.
Wie entwickeln sich die beiden Sprachen bei Kindern die zweisprachig aufwachsen? Kommen z.B. häufig Sprachmischungen in einem Satz vor und was bedeutet das?
Die in frühen Jahren gelernten Sprachen werden in denselben Netzwerken gespeichert und verarbeitet. Es treten auch Sprachmischungen auf, die auf einzelne Wörter reduziert sein können oder auch grammatikalische Einflüsse beinhalten können. Dies bedeutet nicht, dass die Kinder mit den Sprachen überfordert sind, sondern weist auf einen kreativen Umgang mit den Sprachen hin. Das Kind nutzt auf spielerische Weise die gesamte sprachliche Kompetenz. Wortschatzlücken in der einen Sprache können mit Wörtern der anderen Sprache gefüllt werden.
Welche festen Sprachregeln sollten binationale Familien anwenden, um eine optimale Sprachentwicklung zu gewährleisten?
Die Sprachentwicklung des Kindes ist eng verbunden mit der sozialen, körperlichen, emotionalen und kognitiven Entwicklung des Kindes. Ein Kind muss Sprache nicht nur verstehen, sondern sie vor allem auch begreifen. Die Kinder sind von Geburt an mit einer kindlichen Neugier ausgestatten, die sie zum „Selbsttun“ und „-handeln“ motiviert. Dem Kind sollen möglichst viele Anreize gegeben werden, um die Forscheraktivität anzutreiben. Werden wenige Anreize gegeben, so wird die Sinneswahrnehmung gehemmt und die Wahrnehmungsaktivität lässt nach. Dies hat negative Folgen bei der Sprachentwicklung.
Warum wird erst in wenigen Schulen bilingualer Unterricht angeboten, wenn dann v.a. in den Sprachen Englisch und Französisch?
Das Interesse an bilingualen Schulen wächst. Dieser Schultyp ist aber eine organisatorische Sonderform im Bildungssystem. Das Grundprinzip ist, dass SchülerInnen mit Englisch oder Deutsch als Erst- bzw. Zweitsprache gemeinsam in beiden Sprachen unterrichtet werden. Der Grund für die Dominanz in Englisch liegt in der Bedeutung als Weltsprache. Es gibt aber ähnliche Konzepte in den Sprachen Französisch, Italienisch, Kroatisch, Tschechisch, Slowakisch, Arabisch, Türkisch und Ungarisch.