Die Praxis der Achtsamkeit in der Familie
Leben mit Kindern kann ein Weg von ungeahnter Tiefe und Erfüllung sein und eine unvergleichlich kostbare Gelegenheit, selbst innerlich zu wachsen, indem man sich den Kindern zuwendet und sie achtsam ins Leben begleitet.
In diesem richtungsweisenden Buch zeigen Myla und Jon Kabat-Zinn, dass das Leben mit Kindern ein Weg von ungeahnter Tiefe und Erfüllung sein kann. Die behandelten Themen sind sehr vielfältig und reichen von grundsätzlichen Überlegungen bis hin zu vielen praktischen Beispielen und konkreten Hinweisen für ein harmonisches Leben mit Kindern.
Baby Guide sprach mit Herrn Lienhard Valentin, stellvertretend für die Autoren des Buches. Lienhard Valentin ist Initiator des Vereins „Mit Kindern wachsen“, Buchautor und seit mehr als 15 Jahren in der Fortbildung von Eltern, ErzieherInnen und LehrerInnen tätig.
Sie kennen die Autoren persönlich – was gab ihnen den Anstoß, dieses Buch zu schreiben?
Jon und Myla Kabat-Zinn beantworteten diese Frage bei verschiedenen Gelegenheiten in dem Sinne, dass sie selbst die Erfahrung gemacht haben, wie grundsätzlich und hilfreich die Praxis der Achtsamkeit im Leben mit Kindern ist und welch unvergleichlich kostbare Gelegenheit es ist, selbst innerlich zu wachsen, indem wir uns unseren Kindern wirklich zuwenden und sie achtsam ins Leben begleiten. Diesen Prozess wollten sie gerne mit anderen Eltern teilen und sie dabei unterstützen ihren eigenen Weg mit ihren Kindern zu finden. Jon brachte eine langjährige Meditations- und Yogapraxis mit in die Vaterrolle und er erzählt gerne, dass er ehrlich gesagt still und heimlich die Vorstellung hegte, dass er auf diesem Weg doch schon sehr fortgeschritten sei – bis das erste Kind da war. Auf dem Meditationskissen war es ihm durchaus möglich gewesen, inneren Frieden, Gelassenheit und Mitgefühl zu erfahren, aber es ist doch etwas ganz anderes diese Qualitäten ins tägliche Leben mit Kindern zu bringen. So wurden seine Kinder zu seinen wichtigsten Lehrern. Ihm wurde deutlich, dass das Leben mit Kindern unvergleichliche Möglichkeiten des inneren Wachstums mit sich bringt und so lag es nahe, anderen Eltern von diesen Möglichkeiten zu berichten.
Kernaussage des Buches ist die Praxis der Achtsamkeit innerhalb der Familie – welche Unterstützung bieten die Autoren, diese Idee in unseren Alltag zu integrieren?
Zunächst einmal ist das Buch selbst sehr inspirierend. Es berührt viele Eltern auf einer sehr tiefen Ebene und ermutigt so auch immer wieder, sich auf die bereichernde, aber auch schwierige und mitunter sehr stressige Aufgabe des achtsamen Lebens mit Kindern einzulassen. Dann geben sie uns einige formelle Übungen zur Achtsamkeitspraxis und zeigen verschiedene Möglichkeiten der informellen Übung auf, wie wir uns immer wieder mit unseren Kindern verbinden und die Welt auch aus ihrer Perspektive sehen können. Hin und wieder kommen sie auch zu Seminaren, die meist vom Verein „Mit Kindern wachsen“ (www.mit-kindern-wachsen.de) organisiert werden, der auch in Österreich verschiedene Veranstaltungen zum achtsamen Leben mit Kindern anbietet und eine Zeitschrift zu diesem Thema herausgibt.
Welche Auswirkung hat es auf das spätere Leben der Kinder, wenn die Eltern sich ausreichend Zeit für sie nehmen und die gemeinsamen Augenblicke bewusst erleben?
Diese Frage ist sehr schwer zu beantworten, denn letztlich gibt es keine Garantien und es ist auch nicht möglich, immer achtsam zu sein. Das Schöne an dem Buch ist ja auch, dass es sehr menschlich bleibt und auch aufzeigt, dass wir immer wieder von alten Gewohnheiten und Unachtsamkeit eingeholt werden und vielleicht alles andere als perfekt sind. Trotzdem zeigen alle Forschungen, die es in dieser Hinsicht gibt, dass Kinder, die sich gesehen und angenommen fühlen, ein gesundes Selbstwertgefühl entwickeln, das ihnen eine innere Stabilität gibt, die sie durch ihr ganzes Leben trägt. Eine besonders wichtige „Nebenwirkung“ möchte ich aber vielleicht doch heraus greifen – und zwar die Fähigkeit, mehr in sich zu ruhen und plötzliche Veränderungen im Leben mehr als Herausforderung und weniger als eine Bedrohung zu sehen. Diese Fähigkeit wird in einer sich immer schneller verändernden Welt sicher von großer Bedeutung sein.
Worin sehen Sie die größte Herausforderung der Elternrolle?
Das ist sicherlich individuell verschieden. Unsere Erfahrung im Verein „Mit Kindern wachsen“ zeigt aber, dass es die größte Herausforderung zu sein scheint, unseren Kindern etwas zu geben, das wir selbst nicht bekommen haben. Wenn wir im „Stress“ sind – und das ist im Leben mit kleinen Kindern zu einem großen Ausmaß unvermeidlich – geraten wir leicht „auf den unteren Weg“. D.h. wir rasten aus oder handeln in anderer Hinsicht nicht so, wie wir es eigentlich gerne würden. Insofern könnte man vielleicht sagen, dass es die größte Herausforderung ist, die eigene Geschichte hinter sich zu lassen, sich immer wieder neu mit seinem Herz zu verbinden und sich den Kindern zuzuwenden. Wie die Kabat-Zinns gerne sagen: „Das größte Geschenk, das wir Kindern machen können, sind wir selbst.“ Und das geht nicht, wenn wir in unserer alltäglichen Trance oder in unserer eigenen Geschichte gefangen sind, sondern indem wir uns immer wieder neu dem Leben zuwenden, das sich vor unseren Augen entfalten will.
BUCHTIPP:
„Mit Kindern wachsen“ Von Myla & Jon Kabat-Zinn Erschienen im Arbor Verlag ISBN 3-924195-40-4