Wenn die Paarbeziehung nach der Geburt zu kurz kommt
In jeder Paarbeziehung gibt es Entwicklung und Veränderung. Die Geburt eines Kindes ist besonders einschneidend, da wir eine neue Rolle erhalten. Die Paarbeziehung wird für immer anders, als sie vorher war.
Aus der Zweierbeziehung, in der die ganze Aufmerksamkeit aufeinander gerichtet war, wird nun eine Dreierbeziehung. Hinzu kommen oft Schlafmangel und Erschöpfung. Auf der Strecke bleiben Zweisamkeit, Verbundenheit, Kommunikation und Sexualität. Wenn Bedürfnisse nicht erfüllt werden, ist es oft gerade jetzt schwer, diese konstruktiv und liebevoll zu artikulieren. Nicht selten kommt es zu Vorwürfen oder zu Rückzug, der wiederum gegenseitiges Verständnis erschwert und Nähe verhindert.
Baby Guide sprach mit Dr. Claudia Luciak-Donsberger, Imago-Paar und Familientherapeutin (www.imagodialog.com) über Beziehungspflege und Elternaufgaben.
Die Ankunft eines neuen Erdenbürgers verändert nahezu alle Lebensbereiche. Wie kann es trotzdem gelingen, eine gute Elternbeziehung aufzubauen, aber auch die Paarbeziehung weiter zu pflegen?
Die Paarbeziehung ist das Fundament, auf dem Familie und Kinderziehung aufgebaut werden soll. Die Qualität der Paarbeziehung bestimmt über die Qualität der Familienatmosphäre, in der unsere Kinder aufwachsen. Babys brauchen eine entspannte liebevolle Familienatmosphäre, um sich sicher und geborgen fühlen zu können.
Wenn aber die Bedürfnisse der Eltern augrund der neuen Herausforderungen nicht mehr erfüllt werden, kommt es nicht selten zu gegenseitigen Vorwürfen oder zu emotionalem Rückzug. Dies beeinträchtigt die Kommunikation und führt zu mangelndem, gegenseitigen Verständnis und fehlender Nähe. Daher ist es wichtig, dass sich das Paar nicht aus den Augen verliert und in Verbindung bleibt, viel miteinander kommuniziert und kooperiert. Beide Partner müssen bewusst versuchen, in Kontakt zu bleiben.
Ich empfehle Paaren, sich schon vor der Geburt auf die neue Situation vorzubereiten. Dazu gehört, sich ehrlich darüber auszutauschen, was beide Partner erwarten, worauf sie sich freuen, wovor sie Angst haben und wie sie gedenken zu kooperieren. Nach der Geburt ist es wiederum wichtig, offen zu reden und einander empathisch zuzuhören: „Wie geht es mir/dir mit dieser neuen Situation? Was habe ich/was hast du erwartet? Was ist ganz anders? Was brauche ich, was brauchst Du, was braucht unsere Beziehung? Wie können wir einander unterstützen oder Hilfe von anderen annehmen?“
Es ist essentiell, dass beide Partner Zeit für sich als Paar reservieren, einerseits um Spaß zu haben, andererseits um ungestört miteinander reden zu können. Die Beziehung muss bewusst gestaltet werden, und das erfordert Planung. Ansonsten gerät man in den Strudel, in dem alles andere Vorrang hat, aber für die Paarbeziehung keine Zeit bleibt. Wenn es den Eltern gut geht, geht es den Kindern auch besser – also sollte man sich ohne schlechten Gewissens hin und wieder Kinderbetreuung organisieren und diese ungestörte Zeit in die Paarbeziehung investieren. Statistisch werden die meisten Ehen geschieden, wenn die Kinder noch klein sind, offenbar weil sich das Paar emotional aus den Augen verliert.
Gerade in der frühen Kindheit sind Mutter und Kind meist sehr verbunden. Wie wichtig ist es, dass der Vater von Anfang an in den Babyalltag eingebunden wird und welche Aufgaben soll er übernehmen?
Kinder brauchen durch ihre Abhängigkeit in den ersten Jahren eine starke verlässliche Bindung zu mindestens einer aber, wenn möglich zu mehreren Bezugspersonen. Wenn Eltern diese Aufgabe teilen, bekommt nicht nur das Kind mehr Sicherheit, sondern auch die Partnerschaft, da das „Miteinander“ gestärkt wird. Das Kind fühlt sich von beiden Eltern geliebt und die Mutter wird entlastet. Sie hat dann mehr Energie für andere Aufgaben und wird freier für die positive Gestaltung der Paarbeziehung. Für den Vater bedeutet diese Einbindung, dass auch ihm diese bedingungslose Liebe und Freude entgegen strahlt, wenn sich das Baby sicher, geliebt und geborgen fühlt. Oft hört man von Vätern, die in ihrer Lebensmitte eine zweite Familie gegründet haben, dass sie die Beziehung zu diesen Kindern viel bewusster und positiver erleben, weil sie diesmal bei der Geburt dabei waren, Windeln wechseln, baden etc. Oft bereuen sie, dass sie dies bei ihren ersten Kindern verabsäumt haben. Sie erzählen, dass ihnen diese besondere Zeit im Leben ihrer Kinder entgangen ist, weil sie sich durch die Rollenaufteilung der vergangenen Generationen nicht eingebunden haben.
Wenn sich die Mutter wünscht, dass sich der Vater sich einbringt und eine innige Beziehung zum Kind aufbaut, muss sie aber auch loslassen und dem Vater den Raum geben, mit dem Kind auf seine Weise umzugehen. Man bedenke, dass die wenigsten jungen Väter ihre eigenen Väter als Vorbilder dafür erlebt haben, wie man Babys betreut. Mädchen werden meist von ihren mütterlichen Rollenmodellen und über Puppenspielen ganz anders auf die Kinderbetreuung vorbereitet. Also ist es wichtig, das Engagement der Väter aufzuwerten und deren Nachholbedarf für diese neue Rolle zu unterstützen. Es gilt zu verstehen, anstelle zu kritisieren und alles „besser zu wissen“, auch wenn es manchmal stimmt. Ich erinnere mich an einen Ehestreit im Freundeskreis, bei dem die Mutter dem Vater lauthals vorwarf, dass er die Pampers von hinten anstelle von vorne zugeklebt hat. Für das Baby war der Konflikt und die daraus resultierende schlechte Atmosphäre sicher stressvoller, als die falsch zugeklebte Windel! Gegenseitige Toleranz und Unterstützung stärken die Paarbeziehung.
Oft fühlen sich gerade Mütter im ersten Jahr mit dem Baby überfordert und allein. Wie kann man Warnsignale erkennen und gegensteuern?
Ein Tag allein mit einem Baby kann sehr lang erscheinen. Eltern, die in Karenz gehen oder sich ganz der Kindererziehung widmen – nach wie vor überwiegend die Mütter – verbringen viele Stunden mit einem Menschen, mit dem man sich verbal wenig austauschen kann, aber der Rund um die Uhr Zuwendung braucht. Dies führt oft zu Einsamkeit und zu Überforderung. Oft hat man das Bedürfnis, über die neue Rolle zu sprechen, seine Gefühle zu artikulieren oder um Rat zu fragen. Zusätzlich zur Pflege der Gesprächskultur in der Paarbeziehung ist es wichtig, sich von Partnern, Verwandten, Freunden oder Babysittern unterstützen zu lassen, um Zeit für Dinge zu schaffen, die Ausgleich bringen. Daraus gewinnt man wiederum Energie für das Kind. Auch ist es hilfreich, Kontakt zu anderen Müttern zu suchen, z.B. einer Babygruppe beizutreten oder selbst eine zu gründen, in der man zusammen Spaß haben, sich über Erziehungsthemen austauschen, oder sich gegenseitig durch Kinderbetreuung unterstützen kann.
Welchen Einfluss hat die Herkunftsfamilie auf das jetzige Leben?
Elternwerden aktiviert die Muster unserer Ursprungsfamilien. Unsere frühkindlichen Erfahrungen kommen oft darin zum Vorschein, wie wir selbst später mit unseren Kindern umgehen. Unser eigenes Elternhaus ist das Vorbild dafür, wie man sich Kindern gegenüber verhält und als Paar zusammen lebt (oder auch nicht). Nicht immer hat man das Glück, im eigenen Elternhaus eine „Ausbildung“ für eine liebevolle Familiengestaltung und für eine romantische Paarbeziehung zu erhalten. Viele von uns wuchsen in einer Atmosphäre auf, in der es häufig Streit über nicht erfüllte Erwartungen und über Kindererziehung gab oder in der die Kommunikation zwischen den Eltern erloschen war und nur noch nebeneinander her gelebt wurde oder es gar zur Trennung kam. Hinzu kommt, dass beide Partner aufgrund verschiedener Kindheitserfahrungen unterschiedliche Erziehungs- und Familientraditionen für wichtig halten. Auch darüber kann es zu Machtkämpfen kommen.
Obwohl wir es oft bei unseren Kindern „besser machen“ wollen, fühlen wir uns doch manchmal im Wiederholungszwang gefangen, reagieren unter Stress auf die Kinder unbewusst und ungewollt und fühlen uns dann überfordert, unsicher, verzweifelt, einsam und allein. Wenn man diese Warnsignale erkennt, ist es Zeit, sich Gedanken über eine professionelle Unterstützung machen. Ein Paarcoaching oder eine Paartherapie machen es oft möglich, gemeinsam eigene Wege der Familiengestaltung zu entwickeln und eine bewusste, intime und verbundene Paarbeziehung zu gestalten, in der sich Kinder gut entwickeln können.
Sie sind ja auch Imago-Paar und Familientherapeutin – was genau kann man sich unter Imagotherapie vorstellen und wie kann man das Gelernte dann auch praktisch anwenden?
Imago Therapie fördert die persönliche Veränderung durch die Eltern um eine bewusste und gesunde Beziehung zu ihren Kindern aufbauen können.
Durch eine Imagotherapie erlernt das Paar brauchbare „Werkzeuge“ (Dialoge), die es dabei unterstützen
- den Partner/die Partnerin besser zu verstehen
- die Wurzeln seines bzw. ihres Verhaltens zu begreifen, die meist in der jeweiligen Kindheitsgeschichte zu finden sind
- einander „mit offenem Herzen“ zuzuhören
- sich Gehör für die eigenen Bedürfnisse zu verschaffen.
- persönlichen Konflikte und ihre Wurzeln zu erkennen, um diese konstruktiv zu lösen
- eine neue Art des Miteinanders zu entwickeln, in dem mehr Verbundenheit, Sicherheit, Intimität, Erotik und Humor möglich werden.
Beide Partner lernen z.B. nicht mehr sofort in Abwehr zu gehen, wenn der andere etwas will, sondern gewohnte Verhaltensmuster zu verändern, um seinem Gegenüber ein Stück entgegen zu kommen. Auch lernen beide Partner, wie Sie die Auswirkungen Ihrer persönlichen Geschichte auf Ihre Beziehung und auf ihre Kindererziehung bewusst verändern und als persönliche Wachstumschance nutzen können. Ziel dieser gemeinsamen Arbeit ist es, das Erlernte im Alltag anzuwenden um positive Veränderungen beizubehalten und zu verstärken.
Imagotherapie unterstützt auch alleinerziehende Eltern oder Eltern in Patchworkfamilien dabei, konstruktiv über gemeinsame Verantwortungen und Erziehungsthemen zu kommunizieren, um Kinder vor andauernden Konflikten zu schützen. Die Bereitschaft der Eltern, Konflikte konstruktiv zu lösen und die Liebe zueinander zu pflegen, ist nicht nur der größte Wunsch der Kinder, sondern ist ihnen ein gutes Vorbild für ihre spätere Familiengestaltung.
Wie kann man Kinder in ihrer Entwicklung bestmöglich begleiten? Welche Rolle spielt dabei die Familie? Wann ist die moderne Familie „verlässlich“ genug?
Kinder entwickeln sich am besten zu selbstsicheren und beziehungsfähigen Menschen, wenn sie in einem liebevollen Klima aufwachsen, in dem eine gute sichere Verbindung zu den Eltern gefördert wird und in dem sich die Eltern gegenseitig unterstützen und als Paar in Verbindung bleiben. Kinder brauchen Menschen, die sie darauf vertrauen lassen, dass ihre Grundbedürfnisse erfühlt werden. Diese Bedürfnisse verändern sich jedoch nach Alter und Entwicklungsstufe. Gute Ratgeber darüber, was Kinder in diesen verschiedenen Stadien brauchen, sind die Bücher von Jesper Juul und das Buch „Soviel Liebe wie mein Kind braucht“ von Harville Hendrix, dem Erfinder der Imago Paartherapie (beide Autoren erhältlich über den Renate Götz Verlag). Auch eine Elternberatung oder Elterngruppen bieten oft wertvolle Unterstützung.
In der „modernen“ Familie kommt es immer häufiger zu Trennungen und Neuformationen. Hier zeigt sich, dass sich Kinder weiterhin gut entwickeln und Verletzungen verhindert werden können, wenn beide Eltern lernen, nach der Trennung respektvoll und wertschätzend miteinander umzugehen, ihre jeweilige Bedeutung für ihre Kinder anzuerkennen und die Beziehung der Kinder zum Vater oder zur Mutter auch nach der Trennung gegenseitig unterstützen. Bei schmerzhaften Trennungen ist es oft sehr schwierig über den Schatten der eigenen Verletzungen zu springen, und dem Ex-Partner zuzugestehen, dass er/sie für die gemeinsamen Kinder wichtig ist. Dies bedarf nicht selten professioneller Unterstützung. Wenn es aber beiden Eltern gelingt, auf die Bedürfnisse der Kinder einzugehen und mit ihnen verbunden zu bleiben, ist auch die moderne Familie, egal in welcher Konstellation, „verlässlich“ genug.